piwik no script img

Werbeagentur über Zukunft der SPD„Einfach gar nicht präsent sein“

Nach der Wahl in Baden-Württemberg sucht die SPD nach Wegen aus der Krise. „Wählerdemobilisierung“, schlägt ihre Agentur vor.

An ihm soll es nicht gelegen haben: SPD-Landesvorsitzender Nils Schmid nach der Wahl am 13. März Foto: reuters
Interview von Hannah Weiner

Er ist ein harter Schlag für die SPD gewesen. Mehr als zehn Prozent hat die Partei bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg verloren. Nicht nur die PolitikerInnen suchen nach Wegen aus der Krise. Auch die Kommunikationsagentur Network Media GmbH, die die SPD 14 Monate durch den Wahlkampf begleitet hat, will aus der Niederlage lernen. Geschäftsführerin Nicole Stelzner und Strategieberater Mario Münster haben nun ein Thesenpapier mit sechs Strategien ausgearbeitet. Darin geben sie der SPD ungewöhnliche Tipps für die Zukunft.

taz: Frau Stelzner, Sie raten der SPD dazu, WählerInnen in Zukunft zu demobilisieren? Wie ist das denn gemeint?

Nicole Stelzner: In Baden-Württemberg haben 360.000 Wähler mehr als bei der vergangenen Wahl gewählt. Davon gingen 209.000 Stimmen an die AfD. Ähnlich war das in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz. Zwei Drittel der vorherigen Nicht-Wähler sind nur wegen der AfD zur Wahl gegangen. Das kann man als Agentur, die Wahlkämpfe führt, nicht ignorieren. Wir müssen nun mit gezielter Forschung herausfinden: Wo sitzen diese Wähler, die, wenn man sie mobilisiert, Protestparteien wie die AfD wählen.

Wie sieht eine Demobilisierung von Wählern aus?

Wir wollen natürlich nicht aktiv Leute daran hindern wählen zu gehen. Aber Parteien haben im Wahlkampf nur gewisse Ressourcen zur Verfügung. Da muss man sich eben überlegen, ob man bestimmte Bezirke oder Viertel rauslässt oder in spezielle Regionen keine Ressourcen steckt: Kein Geld, keine Hausbesuche, keine Plakate, keine Wahlkampfveranstaltungen. Einfach gar nicht präsent sein.

Und dann?

Wir brauchen mehr qualitative Forschung: Zahlen, Daten, Fakten sammeln und schauen, wie wir Ressourcen in Form einer Summe X besser verteilen können. Parteien neigen dazu, da zu sparen. Ich rate vielmehr, dass man etwa in bestimmten Bezirke keine Flyer mehr verteilt und dort einfach alle Maßnahmen weglässt.

Die höchste Wahlbeteiligung seit 1988 war für die SPD in Baden-Württemberg also kein Grund zu Freude.

Im Interview: Nicole Stelzner

Die Politikwissenschaftlerin arbeitete unter anderem 1998 an der Wahlkampagne des späteren Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Sie war, bevor sie Chefin der NWDM wurde, für das Mutterhaus der Agentur, den Vorwärts-Verlag, tätig.

In der Vergangenheit hat sich eine hohe Wahlbeteiligung für die SPD immer ausgezahlt. Das ist jetzt laut unserer Analyse zum ersten Mal nach hinten losgegangen. Die mobilisierten Nicht-Wähler haben AfD gewählt.

Ist die Annahme, dass WählerInnen aus dem Mitte-Links-Spektrum immer aufs Neue mobilisiert werden müssen, damit hinfällig? Mobilisierung und gleichzeitige Nicht-Mobilisierung. Das klingt ja etwas paradox.

Es geht um gezielte Mobilisierung. Man muss genau gucken, wo die Zielgruppen und Milieus sitzen, die für die SPD mobilisierbar sind: Junge Leute in urbanen Zentren etwa. Die Partei sollte nicht mehr auf pauschale Strategien setzen.

Damit schließt man gewisse Bevölkerungsgruppen ja von vornherein aus. Das klingt nicht nach Volkspartei.

Ich glaube schon, dass die SPD AfD-Wähler wieder zurückgewinnen kann. Nicht bei allen ist Hopfen und Malz verloren. Aber das wird aufwändig. Trotzdem sollte die SPD den Anspruch haben, eine Volkspartei zu sein, und versuchen, diese Wähler wieder zurückzuholen. Aber das klappt eben nicht durch bloße Diffamierung der AfD. Man muss sie argumentativ und inhaltlich stellen.

Wie hat die baden-württembergische SPD auf Ihre Tipps für die Zukunft reagiert?

Wir haben die SPD am 13. März durch den Wahlabend begleitet. Schon da haben wir einiges zusammen besprochen. Immerhin haben wir 14 Monate sehr eng zusammengearbeitet. Aber dieses Papier ist das Ergebnis unserer Arbeit, unserer Reflexion für die potentielle zukünftige Kampagnen.

Unter Punkt 1, „Mehr Gefühl wagen!“, raten Sie dazu, in Zukunft „Personen in den Vordergrund zu stellen“. Was ist mit Nils Schmid als Spitzenkandidaten in Baden-Württemberg schief gelaufen?

Mit Nils Schmid ist nichts schief gelaufen. Bei Kretschmann ist einfach alles super gelaufen. Da war nichts zu machen. Kretschmann hatte eine sehr gute Kampagne, war medial überpräsent und ein Sympathieträger. Wir haben versucht den Spitzenkandidaten in den Mittelpunkt der Kampagne zu stellen und ihn als Person stattfinden lassen. Er ist ein interessanter, moderner Typ mit Patchworkfamilie und türkischstämmiger Ehefrau. Trotz dieser spannenden Biografie war im Wahlkampf wenig Platz für ihn. Es ist einfach untergegangen im Duell zwischen Wolf und Kretschmann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Sehr aufschlussreich. Eine Agentur, deren Daseinszweck darin besteht, Menschen Dinge zu verkaufen, die sie nicht brauchen, wundert sich, weshalb das in der Politik nicht funktioniert. Ganz einfach, möchte man den "Kreativen" zurufen: Menschen wählen eine Politik nicht, von der sie den Eindruck haben, dass sie ihnen nicht nützt, dass sie sie nicht brauchen. Und der Lösungsvorschlag, einfach nichts mehr in Regionen zu investieren, die nichts bringen, ist der Totalausverkauf der politischen Auseinandersetzung und Vermittlung von Überzeugungen.

    Sollte sich die BaWü-SPD noch ernsthaft fragen, weshalb sie derart abgestürzt ist, sollten sich die Verantwortlichen die Analyse ihrer Berater nochmal in aller Ruhe durchlesen.

    Wenn nicht mal mehr die SPD versteht, dass sich nicht alles im Leben ökonomisieren lässt...

  • April, April, geht wählen, wann er will...

  • LOGIK

     

    Am wenigsten würde die SPD verlieren, wenn sie gar nicht mehr antreten würde - endlich keine Verluste und keine Niederlagen mehr!

  • Komisch

    Bin ich denn der einzige, der das für nen Aprilscherz hält?

  • Was sagte Bernie Sanders jüngst, in einem MSNBC-Interview über die real existierenden US-Republikaner? "The Republican Party is a joke maintained by a media...that reports every stupid remark for the next few days".*

     

    Frau Stelzner gebührt das Verdienst, über die Medien hinaus welche faktisch nur noch (z.T zwangsfinanzierte) PR-Apparate der etablierten Parteien (inkl. Grüne) sind - d.h. ohne diese Berichtserstattung gäbe es diese lächerlichen Parteien nicht mehr - ihr gebührt das Verdienst, mit Schlangenöl die "SPD" zu dem machen zu wollen was sie ist: ein WITZ.

     

    Einfach drollig der Versuch Herrn Nils Schmid zu einem coolen Produkt verklären zu wollen - den Mann der erklärte er hätte "Benzin im Blut" - was ihn wohl so blaß aussehen läßt.

     

    *https://www.youtube.com/watch?v=4vQP7Hy42z8

  • 8G
    889 (Profil gelöscht)

    "Man muss genau gucken, wo die Zielgruppen und Milieus sitzen, die für die SPD mobilisierbar sind: Junge Leute in urbanen Zentren etwa."

     

    Also gezielt diejenigen ansprechen, die zu jung sind um zu wissen, was Sozialdemokratie vor der Ära Schröder war.

     

    Das erscheint mir vernünftig.

  • Statt guter Werbestrategie vielleicht einfach mal sozialdemokratische Politik machen? Ich meine, wenn ich Sonnenblumenöl als Butter verkaufen will, bringt selbst die beste Marketingkampagne nix.

    • @Wu:

      NACHTRAG:

       

      Unabhängig von dem schon Geschriebenen halte ich die Antworten der Interviewten für fragwürdig und problematisch.

       

      Ist das dann noch Demokratie?

       

      Die Wahlbezirke, in denen nach Erkenntnissen der Wahlforschung die, die die AfD wählen, wohnen von der Wahlwerbung auszuschliessen?

       

      In einer weiteren Überlegung dann vielleicht auch nur noch in den Wahlbezirken Werbung zu machen, die die eigene Partei wählen, und die anderen Wahlbezirke aussen vor zu lassen?!?

       

      Wie lange muss man eigentlich studiert haben, um mit solchen Gedanken an die Öffentlichkeit zu gehen?

       

      Weitergedacht führt das dazu, dass auch die Werbung für Produkte zielgruppen-abhängig verteilt wird, und somit die Unternehmen bestimmen, dass bspw. in Wohnvierteln, in denen Menschen mit unterdurchschnittlich Einkommen wohnen, nur noch "Ramsch"-Artikel, und in Wohnbereichen mit überdurchschnittlich verdienenden Menschen die Bio-Lebensmittel und die Marken-Produkte beworben werden.

       

      Darauf folgend könnte man dann auch die Schulversorgung und vieles Andere nur noch zielgruppenorientiert anbieten. Damit würde die Gesellschaft noch weiter auseinander brechen.

      Ob das gut ist?

    • @Wu:

      Zuerst dachte ich: ja WU hat Recht - die Lösung ist, sozialdemokratische Politik machen und die nicht nur, aber vor allem in Zeiten des Wahlkampfes stark "verkaufen", am Besten mit einer guten Spitzenkandidatin oder einem guten Spitzenkandidaten.

       

      Anschliessend dachte ich: klingt irgendwie z u einfach. Denn, was ist denn sozialdemokratische Politik in der heutigen (schnelllebigen, globalisierten, komplexen) Zeit, in der eher die Parole und eher nicht eine Problemlösungs-Theorie gelesen und zur Kenntnis genommen wird?

       

      Nun denke ich: haben die GRÜNEN hier in Baden-Württemberg zusammen mit ihrem Ministerpräsidenten eine gute grüne Politik gemacht - und, was ausser den Wahlplakaten war eigentlich grün?

       

      Der Wahlsieger - also sowohl die Partei als auch ihr Spitzenkandidat - kam doch eher "eingeschwärzt" und konservativ "bis auf die Knochen" rüber.

    • @Wu:

      Da möchte ich doch mal ansatzlos zustimmen.