: Wer zu spät auf den Weltmarkt kommt...
■ Die Industrienationen, die den Welthandel dominieren, machen unter sich aus, wer wieviel subventionieren darf – und lassen die armen Länder die Zeche bezahlen
Vorbei ist die Zeit, als die Staats- und Regierungschefs der Wirtschaftsblöcke USA, Japan und Europa in Eintracht auf die Triade anstießen. Seit die großen Wachstumsmärkte der achtziger Jahre gesättigt sind und weltweit die Kapazitätsüberhänge in der Güterproduktion steigen, beherrscht Kriegersprache den Ton, und nicht wenige Ökonomen fürchten, daß nach dem Ende des Kalten Krieges nun die Zeit der Wirtschafts- und Handelskriege drohe. Durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nervös geworden, tragen die Handelsbeauftragten der Industrienationen mit Gehässigkeiten ihre verbalen Gefechte aus, rufen gegenseitig nach Vergeltung und rüsten die Handelsarsenale mit Kontingenten und Strafzöllen hoch. Nur eine Instanz versucht seit Jahren, den gröbsten Verstößen gegen den freien Güterverkehr entgegenzutreten: das Genfer Gatt-Sekretariat.
Auf der Suche nach einem Patentrezept gegen die weltweite Rezession haben die Gatt-Schlichter eine einfache Formel gefunden: Bleiben die Märkte offen, schlagen einige Prozente mehr Geschäfte sofort mit Milliarden positiv zu Buche. Schotten aber die Mauerbauer des Protektionismus ihre Märkte weiter ab, drohe die Todesspirale der Weltwirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre, als die kopflose Flucht in immer höhere Zölle und Importkontingente schließlich dazu führte, daß die Länder nur noch Handel auf bilateraler Ebene trieben. Das Ergebnis war verheerend: Der Welthandel sank innerhalb von vier Jahren auf ein Drittel, die Massenarbeitslosigkeit erreichte täglich neue Rekordstände. Um den ungehemmten Güteraustausch als Wert verkaufen zu können, haben sich die Freihändler der Theorie des Ökonomen David Ricardo verschrieben: Je freier die Güterströme fließen, desto mehr Wohlstand wird geschaffen. Das multilaterale Gatt-Regelwerk, das einheitliche Handelspolitik für Güter, Dienstleistungen und geistiges Eigentum schaffen soll, werde der Weltwirtschaft einen einzigartigen Wachstumsimpuls verleihen, sagen seine Befürworter. Selbst wenn das Abkommen der Weltwirtschaft nur einen Wachstumsschub von jährlich 0,1 Prozent verleihen würde, hat das Gatt-Sekretariat errechnet, läge die Wohlfahrtssteigerung nach zehn Jahren bereits bei 280 Milliarden Dollar.
Doch so einfach ist das alles nicht. Die nördlichen Industrienationen, die den Welthandel dominieren, machen unter sich aus, wer wieviel subventionieren darf und welche einheimischen Waren auch künftig geschützt bleiben. So ist auch nicht verwunderlich, daß laut einiger Prognosen vier Fünftel des Wachstumsschubs auf ihre Länder entfallen wird. Bezahlen also die Entwicklungsländer die Zeche, wenn der freie Handel waltet? Immer wieder hatten die Dritte-Welt- Staaten auf eine Öffnung der westlichen Märkte gedrängt – mit eindrucksvollen Zahlen im Rücken. Allein bei einer fünfzigprozentigen Zollsenkung durch USA, EU und Japan könnten die Entwicklungsländer ein Exportplus von bis zu 50 Milliarden Dollar jährlich erwirtschaften, hatte die Weltbank errechnet – das ist weniger, als sie als Almosen von der Weltgemeinschaft zugewiesen bekommen.
Mit dem Multifaser-Abkommen, das erst in zehn Jahren ganz abgeschafft werden soll, halten sich die Industrieländer trotz Zugeständnissen bei der Einfuhrkontingentierung die billigere Konkurrenz weiter vom Leib. Und die Patent- und Markenrechte bilden für die Schwellenländer eine neue Hürde, um die sie sich bislang nicht groß zu kümmern brauchten. So bleiben oft nur die freien Agrarmärkte, die den ärmeren Staaten eine Chance bieten. Doch selbst da spielt der internationale Handel seit Jahren verkehrte Welt: Während immer mehr Schwellenländer lieber mit Industriegütern auf den Weltmarkt drängen, überschwemmen ihn die Industriestaaten mit subventioniertem Getreide, Milchpulver und Fleisch. Gegen Zugeständnisse bei den boomenden Dienstleistungen gelangten die schwachen Partner zwar zu einem Kompromiß im Agrarbereich, doch der wird durch die schleppenden Verhandlungen mehr und mehr verwässert.
An die gerechte Verteilung der Pfründe glauben Entwicklungsländer und Gatt-Kritiker daher kaum noch. Wer zu spät auf den Weltmarkt kommt, den bestraft die Geschichte. Eine Studie der Hilfsorganisation „Christliche Hilfe“ sieht denn auch einen Netto-Verlust der Dritten Welt durch das Gatt-Abkommen voraus. Und während das ohnehin boomende China mit seinen billigen industriellen Erzeugnissen zu den wenigen Gewinnern zählt, wird Afrika weiter von der restlichen Welt abgekoppelt. Der Kontinent, so schätzt die Weltbank, werde jährlich rund 2,6 Milliarden Dollar verlieren. Doch Gatt- Generaldirektor Peter Sutherland sieht das ganz anders: „Ohne Gatt riskieren wir, daß sich der Graben zwischen Entwicklungsländern und Industrienationen weiter vergrößert.“
Den Verlierern des Freihandels bleibt kaum ein Ausweg aus den drohenden Desaster: Die Abschottung fremder wie eigener Märkte in den vergangenen Jahrzehnten hat die Ärmsten nur noch ärmer gemacht. Ein immer hektischerer Welthandel, wenden die Kritiker zudem ein, trage zur Zerstörung der Lebensgrundlagen bei. Droht der Ökologie mit dem Gatt der endgültige Garaus? Während sich die klassische Theorie mit der Aussicht tröstet, daß die Produkte künftig dort hergestellt werden, wo der Aufwand am geringsten ist und damit Ressourcen geschont würden, sieht etwa der Umweltökonom Ernst Ulrich von Weizsäcker im Weltmarkt den größten Hebel zur Ausplünderung der Natur. Die Gatt-Mitglieder dürfen zwar Umweltnormen einführen, aber nur, wenn sie keine verkappten Handelssperren darstellen. Solange aber die externen Kosten wie etwa für Umweltzerstörung und Transport nicht eingerechnet werden, muß jedes Wachstum beim Welthandel zu weiteren Umweltschäden führen. Sutherland hat das Problem auch schon erkannt: Die Umweltprobleme müßten schnellstens angepackt werden, so der Gatt-Chef – aber erst in der nächsten illustren Welthandelsrunde. Erwin Single
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