: Wer wird denn gehen, wenn's losgeht?
■ Ein Bruch der Koalition nutzt nur der CDU und schadet der Linken in der gesamten Stadt
Man stelle sich einmal vor: Es gibt die historisch einmalige Chance, den Moment des Zusammenwachsens beider Teile Berlins mit neuen politischen Begriffen und Themen zu besetzen - und niemand von Rot-Grün geht hin. Statt dessen setzen sich Landowsky, Diepgen und Herr Kohl in das dann neu entstandene Vakuum, um Berlin zu ihrer Hauptstadt zu erklären. Der Platz wäre dann frei geräumt für eine Kohlsche Idealperspektive, die man unter dem Strategiekürzel „Hauptstadt besetzen und Hauptstadt sein“ etwa folgendermaßen umschreiben könnte: Man müsse sich zunächst von dieser ewig nörgelnden und lästigen AL befreien, um dadurch die Mehrheitsverhältnisse in Berlin zu kippen. Anschließend läßt man sich von Diepgen, Landowsky etc. den roten Teppich in das schwarze Rathaus rollen, um ihren Dienstherren den Empfang zu bereiten.
Wem nützt das? Nützt es der AL, die sich dann von der Regierungsverantwortung entlassen, endlich wieder entspannt und unbelastet altbekannten Innerlichkeitsritualen überläßt? Die dann vielleicht zu einer neuen Identität zurückfindet, aber keinen Ort mehr hat, diese Identität in politische Realität umzusetzen?
Nützt es der SPD (West), die dann linksamputiert einem Minderheitssenat vorsteht und im Prozeß einer politisch -historischen Neuorientierung erst mit dem Prozeß des Scheiterns konfrontiert wäre?
Nützt es der CDU? - Ja! Auf der ganzen Linie, und darüberhinaus würden historische Perspektiven, politische Weichenstellung und Möglichkeiten, konservative Politik umzusetzen, frei Haus gleich mitgeliefert. Käme es zu einem Koalitionsbruch, so wäre dies die beste Public-Relation -Veranstaltung, die sich die CDU nur wünschen kann.
Man muß zunächst einmal feststellen, daß seit den Mai -Wahlen die Karten in Berlin neu verteilt wurden, und wer jetzt vom Spieltisch aufsteht, sollte sich sein Blatt und seine Mitspieler noch einmal ganz genau ansehen. Vielleicht gibt es dabei doch noch Varianten und Kombinationen, die aus vermeintlichen Luschen Trümpfe werden lassen. Die Zahl der Spieler ist dabei noch nicht zu überschauen, auf jeden Fall ist sie größer als bisher angenommen wurde. Ebenso unübersichtlich wie spannend ist die Vielzahl der möglichen Konstellationen. Um die günstigste herauszufinden, darf man eins vor allem nicht - sich bluffen lassen. Denn wenn „die Mauern“ erst mal wanken, sind die Türschilder auch nicht mehr das, was sie mal waren.
Wir hier in Ost-Berlin machen unsere eigenen Erfahrungen. Und das gilt erst recht, wenn zwei so grundverschiedene alte und neue Stadthälften zusammengeraten. Es kann bei der Entwicklung einer gemeinsamen demokratischen Streitkultur nicht einfach nur um die Verdoppelung oder Spiegelung Westberliner Strukturen gehen. Das wäre verwaltungstechnisch sicherlich das einfachste, politisch allerdings bedenklich, weil an den spezifischen Bürgerinteressen in der DDR vorbei. Als Politiker müssen wir eine Art Übersetzungsarbeit leisten, um so viel von diesen Bürgerinteressen wie möglich in den Gesamtprozeß der Demokratisierung zu installieren.
Alles das muß zwar schnell, aber wohlüberlegt und demokratisch legitimiert passieren - oder die Chancen von gestern werden ungenutzt zu Risiken von morgen. Dies alles sollte genausowenig von kleinkarierten Parteiegoismen geprägt sein. In diesem komplexen Prozeß geht es um mehr Demokratie und nicht um mehr Partei. Und es geht auch nicht allein um die AL als Partei, sondern um eine Politik, die sich immer wieder aufs Neue fragen muß, aufgrund welcher Legitimation sie handelt und wie sie den demokratischen Prozeß für alle Wirklichkeit werden läßt.
Was jetzt notwendig ist, ist eine nüchterne und emotionsfreie Analyse der politischen Konstellationen in Ost - und West-Berlin. Dabei muß gleich zu Beginn eines festgehalten werden: jede politische Entscheidung in West -Berlin hat einen Effekt auf den anderen Teil der Stadt. Ein zweites: Zwei Dinge werden von verschiedenen Seiten völlig unterschätzt. Es gibt, trotz diverser Importe aus dem Westen, hier in der DDR eine eigenständige politische Kultur, die sehr wohl einschätzen kann, wer kooperativ den Demokratisierungsprozeß unterstützt und wer egoistisch parteipolitische Interessen verfolgt.
Die von der AL in Frage gestellte Koalition sieht sich einer immensen Aufgabe gegenüber. Wenn sich jetzt ein Partner aus der Verantwortung herausnimmt, gefährdet das die Achillessehne des sich neu organisierenden politischen Gesamtkörpers in Berlin. Nämlich die linken Verflechtungen von AL bis SPD (West), von der SPD (Ost) bis hin zum Bündnis 90. So gesehen, wäre es nicht nur eine Entscheidung gegen die bestehende Koalition in West-Berlin, sondern eine Entscheidung gegen bestimmtes Gesamt-Berlin.
Die CDU sitzt derweil in ihren Schaukelstühlen und amüsiert sich. Historischen Aufgaben und innere Grabenkämpfe sind nicht das, was man sich unter produktiver Politik vorstellt. Dies ist in keiner Weise allein der AL auf das Konto zu schreiben. Um es deutlich zu sagen: Die Handlungsfähigkeit der Koalition sollte, auch wegen den Interessen aus Ost -Berlin, eine bestimmte linke Politik in einem Gesamt-Berlin mit durchsetzen zu können, erhalten bleiben. Eine Positionsschwächung der Bewegung in Ost-Berlin wäre die Folge bei einer gegenteiligen Entscheidung.
Natürlich muß man von der politisch-strategischen Ebene auch die Inhalte beachten, um die es geht, und die leider zu oft von solchen mitunter metaphysischen Wolkenkuckucksheimen verhüllt werden. Es herrscht doch bereits jetzt Konsens auf verschiedenen Ebenen. Es ist Konsens, daß an einer ökologischen Stadterneuerung und -entwicklung nichts vorbeigeht. Kreuzberger Modelle der Stadtsanierung können sicherlich auch am Prenzlauer Berg und anderswo greifen. Ökologie ist ein zentraler Punkt und bleibt ein zentraler Punkt und dies nur als ein Punkt von vielen.
Das Zeitalter der Maximalforderungen ist vorbei. So, wie wir in einer postsozialistischen Zeit leben, sehen wir uns auch konfrontiert mit einem „Postmaximalismus“. Einen Bruch jetzt kann man nicht ohne politischen Kompetenz- und Substanzverlust vermitteln. Wir sollten uns jetzt nicht voneinander wegbewegen, sondern Ideen entwickeln, wie wir uns innerhalb bestehender Konstellationen aufeinander zubewegen. Jeder Grabenkrieg spaltet, schwächt und arbeitet den konservativen Gruppierungen in die Hände. Phantasie ist hier die Stärke der nahen Zukunft und nicht die Verwaltung bestimmter Ideologien, weder von der SPD noch von der AL oder vom Bündnis 90. Die Verwaltung der Macht, die sitzt woanders, man munkelt, in der Nähe der Lorelei. Thomas Krüger, Stadtrat für Inneres
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