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Wer wird A-Klasse?

Für einen Sieg beim deutschen Grand Prix ist Wahlkampf nötig – wie in der Politik. Das Buhlen dauert noch bis zum 22. Februar. Ein Lagebericht

von JAN FEDDERSEN

Ireen Sheer hat sich in knapp 30 Jahren den Ruf einer wackeren Schlagersängerin erarbeitet. Skandale pflasterten nie ihre Wege. In der Popbranche gibt es niemanden, der Böses über sie sagt. Eine Interpretin der zweiten Reihe, die es zur Champions League (Nicole, Katja Ebstein, Michelle) nie gebracht hat, weil sie mit Liedern wie „Goodbye Mama“ oder „Und heut abend hab ich Kopfweh“ sich den Ruf einer Sängerin mit freundlichem Nichterregungsappeal erworben hat. Kürzlich aber schaffte sie es – ohne dass ein Hit von ihr zu vermelden wäre – auf die Titelseite der Starmaker von der Bild-Zeitung: „Jetzt rechnet sie mit ihrem Ehemann ab“, hieß es dort, versehen mit der Unterzeile „Er lügt – Er geht fremd – Er warf mich raus“.

Mittwoch war sie wieder Thema jener Zeitung: „Starb Ireen Sheers Hund durch einen Meineid?“ Die Geschichte ist an heiterster Absurdität nicht zu übertreffen. Die Rede war von einem Terrier namens Candy, auf den Sheers abtrünniger Ex Gavin du Porter (der es als Schlagersänger ohne seine Gattin nicht einmal in die Regionalliga geschafft hätte) schwor („beim Leben unseres Hundes“), niemals sie betrogen zu haben. Und weshalb dieser Klatsch? Diese schmutzige Wäsche, die vor einer Öffentlichkeit von zehn Millionen Lesern ausgebreitet wird? Nun, Skandale stoßen immer auf Interesse, egal ob wirklich was dran ist. Ireen Sheer singt mit Bernhard Brink im Duett beim deutschen Grand Prix am 22. Februar in Kiel. Bis dahin bringen sich die meisten Interpreten – immerhin 15 an der Zahl – PR-mäßig in Stellung. Denn über den Sieg bei diesem quotensatten Popevent entscheidet der Zuschauer, und der ruft nur an, wenn er die Stars schon einmal vorgeführt bekommen hat. Wie Ireen Sheer eben – die mit ihren offenherzigen, besser: „tränenreichen“ Bekundungen Wahlkampf betreibt.

Ireen, die grüne Seele

Das unterscheidet sie keineswegs von ihrer Konkurrenz, von den Kellys (über die in nämlicher Zeitung verdächtig viel über rohe Ausfälle wider „fette Fans“ berichtet), von Corinna May (der Blinden aus Bremen, die es jetzt mit einer Ralph-Siegel-Disco versucht) oder von Joy Fleming, die ebenfalls mit dabei ist. Aber sie alle versuchen es mit unterschiedlichen Strategien – ganz wie in der Politik. Insofern ist Ireen Sheer die Verkörperung der grünen Seele. Wie die Ökopartei drückt sie auf die Tränendrüse, wirbt um Verständnis für ihre Seelenlage und bringt sich obendrein als Tierfreundin ins Spiel – eine Aufwallungssuada wie aus dem Lehrbuch, ein Agieren vor dem Hintergrund einer Weltverschwörung.

So eine will nicht gewinnen, denkt sich der PR-Stratege, so eine will nur nicht untergehen – wie die Grünen eben. Die Kellys, hoch favorisiert ohnehin, weil sie ein Stück alternative Musterfamilie seit Anfang der Neunzigerjahre verkörpern, machen ihren Wahlkampf ganz anders. Die männlichen Mitglieder, nicht eben bekannt für pralle Virilität, werden als aggressiver werdende Machos positioniert, kaum gebremst vom weiblichen Teil des Clans: Sie wissen, dass sie ohne öffentliche Kontroverse gegen die Kieler Konkurrenz nicht gewinnen können – und dass sie das Rennen nicht ohne eine gewisse Umstrittenheit für sich entscheiden. Denn die Kelly’s haben zwar viele Liebhaber, sind aber auch vielen Menschen sehr, sehr verhasst: Da gilt es, die eigene Anhängerschaft zum Wahltag zu mobilisieren – als ob’s ein Stück von Stoiber wäre.

Ein Act operiert in dieser Hinsicht ganz anders: Das ist Joy Fleming, eine Art Gerhard Schröder der deutschen Popszene. Sie verliert – anders als in früheren Jahren – kein böses Wort über die Konkurrenz. Sie weiß, dass sich das als knapp Sechzigjährige erstens nicht schickt, Gehässigkeiten aber zweitens auf sie zurückfallen. Wie Schröder kein hässliches Wort über Kohl verlor (obwohl es viel Anlass gegeben hätte), so mokiert sich Fleming nicht über die Stimmchen der Konkurrenz. Sie sagt nicht, dass sie den Grand Prix neu erfinden wird, aber ihr Auftritt verspricht eine Qualitätsverbesserung. Ihr Coach: Johannes Kram, 1998 „Erfinder“ von Guildo Horn und insofern geübt auf dem umkämpften Markt aller neuen Mitten.

Denn auch beim Grand Prix zählt ja nicht das beste Lied oder die beste Stimme (wie ja auch in der Politik nicht unbedingt der klügere Politikentwurf gewinnen muss), sondern der berührendste Rummel vorher und während des Events: Sei sympathisch, ohne profillos zu wirken; respektiere vernehmlich alle anderen, mach dein eigenes Licht aber auch nicht bei Tag an; sei freundlich, aber nicht servil; erzähl nichts von deinen früheren Meriten, sondern schlage das besseres Produkt vor.

Der Wahlkampf – der veranstaltende NDR ist sich sicher– geht weiter. Im Internet stehen die Kellys nach wie vor oben. Ausgezählt wird am 22. Februar ab 21.30 Uhr in Kiel.

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