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■ Die China-Debatte im Bundestag zeigt: Die deutsche Außen- und Kulturpolitik ist nicht lernfähigWer spricht in Bonn Chinesisch?

Es ist für die Republik Schande und Trost zugleich: Ausgerechnet der 70jährige Otto Graf Lambsdorff, gerade erst als FDP-Wirtschaftssprecher entmachtet, entpuppt sich in der Bonner Debatte um das Zukunftsland China als Mann der Stunde. Zwar will der Bundestag heute nun sogar einstimmig einen interfraktionellen Antrag zwecks Verurteilung der chinesischen Menschenrechtsverletzungen in Tibet annehmen. Doch keiner versteht es besser als der alte Skandalsünder, für die Menschenrechte in China geradezustehen, ohne sich dabei den Schal des Dalai Lama umbinden zu müssen. Zudem weiß Lambsdorff, an wen sich seine Worte jenseits deutscher Grenzen richten: Kein deutscher Politiker hat Ostasien seit den 70er Jahren regelmäßiger besucht – abgesehen von Helmut Schmidt, und der ist nur noch Herausgeber einer Wochenzeitung.

Die Senioren Lambsdorff und Schmidt eint eine Erfahrung, die kein deutscher Nachwuchspolitiker mehr kennt. Beide haben nämlich mit ihren westlich-moralischen Überzeugungen in den Hauptstädten des Fernen Ostens nie hinter dem Berg gehalten und dafür dennoch Verehrung und Freundschaft geerntet. Das geschah aus dem einfachen Grund, weil sie als erste Bonner Politiker die elementarste Bringschuld des Westens gegenüber Asien erfüllten: Sie brachten Interesse und Offenheit mit. Allein ihr ständiges Auskundschaften vor Ort signalisierte: Lambsdorff und Schmidt nahmen China und Japan als Weltmächte ernst. Den Deutschen teilten sie dies allerdings nur selten mit. Sie ahnten wohl, wie kompliziert der Dialog über eine neue Weltordnung mit diesen Ländern sein würde und wieviel Zeit, Aufwand und Einfühlungsvermögen er eines Tages den westlichen Politikern abverlangen könnte.

An ebendiesem Gespür für die asiatischen Verhältnisse mangelt es in der deutschen China-Debatte derzeit völlig. Jeder Berlitz-Ethnologe weiß doch, wie wichtig es im Fernen Osten ist, das Gesicht zu wahren. Nun aber muß der chinesische Botschafter in Bonn in der FAZ lesen, daß sich der deutsche Außenminister wehleidig beschwert, daß man wegen seiner Chinapolitik auf ihm „herumgetrommelt“ habe. Anstatt eine politische Position darzulegen, inszenieren Kinkels Worte förmlich den eigenen Gesichtsverlust. Einem außenpolitischen Profi darf das nicht passieren.

Diese kleine Episode verweist auf einen weitverbreiteten Mißstand: Die deutsche Politik hat ihre Weltläufigkeit verloren. Nach dem Krieg bemühten sich ganze Politikergenerationen um den Dialog mit den Westmächten, unter Willy Brandt kam das Engagement im Ost-West-Dialog hinzu. Doch seit der Aufstieg Japans der Welt ein neues geopolitisches Korsett aufzwang, das vermutlich nur die Bühne für den Auftritt Chinas vorbereitete, hinkt die deutsche Politik den weltpolitischen Ereignissen hinterher. So wird der bis in die privilegierten deutschen Schichten reichende Neid auf die Wirtschaftswunderländer des Fernen Ostens vom Diskurs unserer politischen Elite über Standortprobleme und Gloablisierung nur notdürftig bedient, wenn nicht gar gefährlich verdrängt.

Der Streit um die deutsche Chinapolitik dokumentiert den Erklärungsnotstand auf dramatische Art und Weise: Zwischen der unerläßlichen Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Tibet und der ebenso nötigen Anerkennung Chinas als Zukunftsmacht des 21. Jahrhunderts findet in Bonn niemand den richtigen Ton. Für Joschka Fischer ist es sicher billig, dem deutschen Außenminister vorzuwerfen, er krieche vor den Pekinger Diktatoren auf dem Bauch. Im gleichen Atemzug sollte er freilich auch anerkennen, daß sich ohne die Zusammenarbeit mit der chinesischen Regierung keine der großen ökologischen Zukunftsfragen lösen läßt. Womit könnte der drohenden Klimakatastrophe derzeit wirkungsvoller vorgebeugt werden als mit der Einführung des Katalysators in China? Darauf zu drängen erschiene für eine grüne China-Politik erfolgversprechender und realistischer als die berechtigte, aber mehr an das heimische Publikum gerichtete Kritik an der Verletzung der Menschenrechte. Für Fischer und mit ihm die allermeisten deutschen Politiker gilt der Ratschlag von Hilmar Hoffmann, dem Präsidenten des Goethe-Instituts: „Ohne kulturelle Fundierung sind Diskussionen über Menschenrechte nicht erfolgreich zu führen. Ebenso bleibt die Suche nach angemessenen Definitionen von ,Fortschritt‘ in der Krise der Moderne auf kulturelle Komponenten angewiesen.“ So, wie sich deutsche Politiker vor Gesprächen mit chinesischen Regierungsbürokraten einen gewissen Respekt vor deren 5.000jährige Staatstradition verschaffen sollten, so sollten sie in Japan – das uns bereits viel verwandter ist – ungestüm auf die Suche nach neuen Fortschrittsdefinitionen gehen.

Solches Anraten macht derzeit jedoch wenig Sinn. So stumpf sind die Sinne, so mangelhaft ist der Blick für die Realität, daß die anstehende Grundsatzdebatte über die deutsche Kulturpolitik am China-Streit an der deutschen Politik folgenlos vorbeirauscht. Dabei wäre dies die Gelegenheit, die Alternativen endlich einmal beim Namen zu nennen: China zwingt zum Handeln. Entweder man hält es mit dem deutschen Untersuchungsausschuß Menschenrechte, der seine China-Reise schon deshalb storniert, weil er nicht nach Tibet reisen darf. Bonns auswärtige Kulturpolitik würde dann weiter nach dem Grundsatz verfahren: Die Deutschen stecken auch im Ausland nicht zurück und zeigen, wer sie sind.

Die Alternative dazu hat Wolf Lepenies, Rektor des Berliner Wissenchaftskollegs, gezeichnet: „Die Industriegesellschaften des Westens, die sich traditionell als Belehrungsgesellschaften verstanden, müssen zu Lerngesellschaften werden.“ Demnach hätte der Bonner Ausschuß also ruhig nach China fahren können: Dazugelernt hätte er in jedem Fall.

Wahrscheinlich kommt es darauf an: hinfahren, mitdenken, immer wieder neu begreifen, wie die Welt sich bewegt. Erschreckend ist, daß gerade die weltoffene 68er Generation das nicht mehr leistet: In China und Japan fehlen von ihr jegliche Spuren. Warum sollten dann ihre Kinder kommen? Wer will schon Japanisch oder Chinesisch lernen? Wie utopisch klingt in deutschen Ohren der Traum Bill Clintons, daß ein amerikanischer Präsident im 21. Jahrhundert seine Reden in Tokio auf Japanisch halten möge? Da erscheint es wohl in Anbetracht der Verhältnisse immer noch realistischer, den alten Lambsdorff auf die Chinesisch- Schule zu schicken. Georg Blume

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