: Wer kann, der darf
■ Freie Radios in Spanien
Wer kann, der darf
Freie Radios in Spanien
Barcelona, 19. Dezember 1987. Mitten auf den „Ramblas“ überragt eine Antenne das Gewimmel spanischer Hausfrauen im vorweihnachtlichen Einkaufsrausch . „Nicht daß ihr glaubt, wir verdealen hier gebrauchte Radios“, quäkt es aus einem kleinen Transistor, „wir sind freie Radios, und wir kämpfen um unser Überleben. Deswegen senden wir heute live von den 'Ramblas‘.“
Am selben Tag, an dem die katalanischen Radios ihr „Studio auf der Straße“ aufbauten, verabschiedete das spanische Parlament das „Gesetz über die Neuordnung der Telekommunikation“ (LOT). „Ein Schlag ins Gesicht für einige hundert freie Radios“, urteilt Esteban Ibarra von der grünen 'Onda Verde‘, eine Sprecherin der nicht-kommerziellen Protestsender in Spanien. Folgende Passagen, die teilweise erst im letzten Moment von den Sozialisten in Absprache mit dem Privatradio-Verband eingebracht wurden, machen das LOT zum „Kommerzgesetz“: Eine Anbietergesellschaft kann in jedem Sendegebiet zwei Radios besitzen, die Lizenz wird ihr auf zehn lange Jahre hinaus erteilt. Ein Viertel des Kapitals darf aus dem Ausland kommen, und eine Lizenz darf von einem auf ein anderes Radio „übertragen“ werden.
„Dem Frequenzenhandel sind damit Tür und Tor geöffnet“, fürchtet Ibarra und verweist auf Frankreich und Italien, wo die großen Radios nach und nach die kleinen „schluckten“. Als Schutz gegen die Übermacht der großen, auch in der Sendestärke um viele tausend Watt überlegenen Kommerzradios, hofften die freien Radios bis zum Schluß auf eine „Bestandsgarantie“ für Radios mit „kulturellem Charakter“. Vergeblich. Mit der im Gesetz neu festgelegten Höchststrafe von zehn Millionen Peseten (rund 150.000 DM) für illegales Senden dürfte ihnen die „Wellenpolizei“ künftig das Leben sogar noch schwerer machen.
Den nicht-kommerziellen Radios fällt es ohnehin schwer, ihren Sendebetrieb aufrechtzuerhalten. Bei 'Onda Verde‘ sind es 180 Mitarbeiter, die ihr tägliches 14-Stunden-Programm nicht nur unbezahlt auf die Beine stellen, sondern auch noch selber finanzieren. Das Sendebewußtsein: von Ökologie bis Feminismus, Jugendarbeitslosigkeit genauso wie Straßentheater, Punk und Heavy Metal. Bombendrohungen von Spaniens nimmermüden Faschos gehören ebenfalls zu ihrem Alltag - nach einer Sendung über baskische Separatisten räumten die RadiomacherInnen nach einer Telefondrohung ihre Studios, einem Mitarbeiter wurde das Privat-Telefon gekappt.
Die wenigen Mittel machen das Programm nicht spannender: Da liest auf 'Radio Cero‘, dem „Anti-Nato-Radio“ von Madrid, der Alt-68er Ernesto schon mal stundenlang aus linken Traktaten über die Frankfurter Startbahnmorde vor. Kein O -Ton, kein Sprecherwechsel, erst nach einer Stunde eine punkige Musikpause.
Während der zehn Jahre, in denen die freien Radios bestehen, begleiten sie auch polizeiliche Verfolgung. Das Pionierradio 'Ona Lliure‘ (Freie Welle) in Barcelona wurde seit 1979 zehnmal von der Polizei geschlossen, seine MacherInnen saßen immer wieder im Gefängnis. Hohe Geldstrafen kamen in den letzten Jahren auch 'Onda Verde‘ und einigen baskischen Radios teuer zu stehen. Eindeutig war die Rechtslage dabei nicht, die Radios konnten sich auf Artikel 20 der spanischen Verfassung berufen, der das „Recht auf freie Meinungsäußerung“ garantiert, um so wengistens vor dem Gesetz ihren Überlebenskampf zu bestehen, wenn auch zuweilen finanziell ruiniert.
Wenn künftig, wie es ein weiterer Gesetzesentwurf vorsieht, auch noch drei Privatfernsehkanäle entstehen, ist die Kommerzialisierung des spanischen Mediensystems perfekt. „Wer kann, der darf“, ist die Devise.
Unter dem „Gesetz des Stärkeren“ kommen nicht-kommerzielle Projekte schlecht weg. Das ist aus Frankreich und Italien und anderswo wohlbekannt. Die wenigen verbliebenen Protestsender aus dem Ausland sind es deshalb, die ihre spanischen GenossInnen beim Protest gegen das LOT unterstützen. Aus aktuellem Anlaß traf sich die „Europäische Vereinigung der Freien Radios“ (FERL), in der über 300 Radios aus zwölf Ländern zusammenarbeiten, im Mai in Madrid. Sie will ein Unterstützungskomitee gründen, in dem auch Politiker, Publizistik-Professoren und Richter aufgefordert werden, sich europaweit für die freien Radios einzusetzen.Ursula Ott
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