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Wer ist der schwarze Mann?

■ Vobo-Prozeß in Oldenburg / Vorwurf: Volkszählerin genötigt, Bögen geklaut / Staatsanwalt wollte Verfahren einstellen, doch Justizminister befahl: Durchhalten

Quer über die Breslauer Straße in Oldenburg hing im Mai des Jahres 1987 ein Spruchband. „Volkszählungsboykott“ stand da drauf, riesengroß. Ausrechnet in dieser Straße mußte Alma J. (auch den Vornamen hat die Redaktion geändert) volkszählen. Sie mußte, wie sie vor Gericht angab, denn sie verdient ihr Brot im öffentlichen Dienst. So machte sie sich an einem lauen Abend auf den Weg; mit einem Köfferchen voller Volkszählungsbögen, ihrem Mann mit Fotoapparat und mit Zittern und Zagen. Es kam, wie es kommen mußte: Vor einem Haus in der Breslauer Straße wurde sie „genötigt“, Volkszählungsbögen wurden ihr „gestohlen“. So jedenfalls steht es in der Anklageschrift. Beschuldigt sind die arbeitslose Lehrerin Karin und ein Anwohner der Breslauer Straße, Gerold.

Doch zurück zu den Ereignissen jenes lauen Frühsommerabends, berichtet aus der Sicht von Alma B.: „Hier wird nicht ge

zählt!“ habe ein schwarzer Mann sie angeherrscht. Ja, ganz schwarz gekleidet sei er gewesen, und schwarze Haare habe er auch noch gehabt. Fünf andere Leute hätten sie dann umringt und bedrängt, und der Schwarze habe sie nicht an das Klingelbrett gelassen. Dabei sei, allerdings ohne Zutun der Leute, ihr Köfferchen aufgesprungen, und Volkszählungsbögen seien herausgefallen. Die Leute hätten sie aufgehoben, aber ihr nicht wiedergegeben, sondern einfach behalten!

Ihr Mann photographierte die Ereignisse aus respektvoller Entfernung. Als die Volkszählungsgegner das bemerkt hätten, seien sie zu ihm hingerannt, hätten ihn geschlagen und ihm den Film abgenommen, berichtete Alma J. Gleichwohl lagen dem Gericht vorgestern Fotos vor, geschossen von Almas Mann. Darauf war der „schwarze Mann“ auch gut zu sehen. Mit den Fotos in der Westentasche sollen Kripobeamte später in der Umgebung unterwegs ge

wesen sein, um ihn dingfest zu machen - ohne Erfolg.

Ob nun die Angeklagten bei dem Gerangel dabei waren, das wußte Alma J. nicht mehr. Ebensowenig wußte sie, ob die beiden es waren, die die Bögen aufgehoben und ihr nicht zurückgegeben hatten. Das Pech der Angeklagten: Als die von Almas Mann alarmierte Polizei kam, standen sie in der Nähe. In Handschellen wurden sie abgeführt und auf der Wache erkennungsdienstlich behandelt. In einer Presseerklärung kündigte die Staatsanwaltschaft an, daß sie wegen schwerer Körperverletzung, Raub und Nötigung in einem besonders schweren Fall gegen Karin und Gerold ermitteln werde. Die örtliche „Nord-West-Zeitung“ schrieb von einer „regelrechten Jagd auf eine Volkszählerin“, von einem „brutalen Zusammenschlagen“ ihres Ehemannes, von „hinterhältigem Banditentum“. Eine „giftige Saat“ sei aufgegangen. Trotzdem: Aus den großen Plä

nen der Staatsanwaltschaft ist nichts geworden. Schon im vergangenen Jahr steuerte sie insgeheim eine Einstellung des Verfahrens an, weil die Beweislage gegen die beiden Angeklagten allzu dürftig war. Doch das niedersächsische Justizministerium intervenierte, und die Staatsanwälte machten brav weiter.

Der Verteidiger der beiden, Rechtsanwalt Burchardt, tat am Dienstag sein Bestes, um die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin zu erschüttern. Zwischen ihren ersten Aussagen vor der Polizei und den letzten vor Gericht fand er eine Reihe von Widersprüchen. Deshalb will der Anwalt die vernehmenden Polizeibeamten vor Gericht laden lassen und das Gericht zu einem Lokaltermin in die Breslauer Straße entführen. Ob das Gericht den Anträgen Burchardts folgt, darüber kann es jetzt wochenlang nachdenken. Denn erst im nächsten Jahr wird der Prozeß neu aufgerollt.

mw

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