: Wer hat sie verraten?
■ Gesichter der Großstadt: Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht läßt den Berliner Kleinverleger Uwe Soukup nicht mehr los. Heute Lesung in der Kulturbrauerei
Im Jahr 1992 bekam der Berliner Sozialarbeiter Uwe Soukup (39) „eine Ohrfeige zum Wachwerden“, wie er es nennt. Und zwar von seiner Urlaubslektüre. Er hatte das Buch „Die deutsche Revolution 1918/1919“ von Sebastian Haffner mit in die Ferien genommen. Erstmals wurde Soukup klar, welch aktive Rolle die SPD bei der Niederschlagung der eigenen sozialdemokratischen Revolution gespielt hatte. „Die sozialdemokratischen Führer verbanden sich mit den alten Eliten und errichteten auf Gräbern die Weimarer Republik“, sagt Soukup.
Uwe Soukup, der „vorher keine Ahnung von dieser Zeit“ hatte, liest das Buch des Historikers Haffner „wie einen Krimi“. Er erfährt, daß die Radikalsozialisten Luxemburg und Liebknecht zwar nicht in direktem Auftrag, aber doch mit Billigung der SPD am 15. Januar 1919 von nationalistischen Freikorps-Offizieren ermordet wurden. Und daß konterrevolutionäre Truppen des Sozialdemokraten Gustav Noske Berliner Arbeiterviertel sogar von Flugzeugen aus bombardiert hatten.
Die Geschichte des von der SPD angestifteten Doppelmords, der damals durch einen fingierten Prozeß mehr verschleiert als aufgeklärt worden war, läßt Soukup nicht mehr los. Der Sozialarbeiter wird zum „Wohnzimmer-Verleger“. 1993 bringt er das Buch „Der Verrat – 1918/1919, als Deutschland wurde, wie es ist“ in seinem „Verlag 1900“ neu heraus. Von dem Buch wurden inzwischen in dritter Auflage 25.000 Stück – sehr viel für einen Kleinverlag – abgesetzt. 1995 folgte „Eine Leiche im Landwehrkanal“ des Frankfurter Sozialwissenschaftlers Klaus Gietinger. Dessen Recherche belegt, daß der Sozialdemokrat und spätere Reichswehrminister Gustav Noske den Doppelmord mit dem „ausführenden“ Freikorps-Hauptmann Waldemar Pabst telefonisch abgesprochen hat.
Uwe Soukup, der selbst aus einer sozialdemokratischen Familie stammt, nennt die Beschäftigung mit der verratenen Revolution von 1919 seine „zweite Vergangenheitsbewältigung“: „Die 14 Jahre der Weimarer Republik, die Vorgeschichte des Nationalsozialismus, werden falsch, zu bequem und zu oberflächlich erklärt.“ Soukup sagt weiter: „Es heißt immer, daß irgendwann die Extremisten von links und rechts in der Mehrheit waren und deshalb die Weimarer Republik gescheitert sei. Der Grund aber ist vielmehr die Zerschlagung der revolutionären und demokratischen Kräfte, die eine Republik hätten tragen können.“
Auch das neueste Buchprojekt von Soukup wird sich wieder mit der SPD befassen. Diesmal geht es um die Mitvorbereitung des Ersten Weltkriegs durch die SPD. Statt den Krieg durch Massenstreiks zu verhindern, mobilisierte die SPD mit. Das Argument: Nach einem erfolgreichen Krieg würde es dem Proletariat bessergehen. Die Textsammlung, die im April unter dem Titel „Zwecklegenden“ erscheint, enthält auch das Protokoll einer SPD-internen Rede, das damals der Reichsregierung zugespielt wurde, um die Zustimmung der Sozialdemokraten zum Krieg zu signalisieren. Verleger Soukup: „Das Buch zeigt, daß aus denen, die die Heimatfront hielten, nicht plötzlich Revolutionäre werden konnten. Noskes Doppelmord ist auch der Mord der Militaristen an den Pazifisten.“
Am heutigen Vorabend des 125. Geburtstags von Rosa Luxemburg veranstaltet Soukup zusammen mit dem Aufbau-Verlag und Elefanten Press um 20 Uhr eine Podiumsdiskussion in der Kulturbrauerei. Denn auch in den beiden anderen Verlagen sind neue Luxemburg-Bücher von Annelies Laschitza und Kristine von Soden erschienen. Nach der Diskussion mit den AutorInnen wird der Film „Rosa Luxemburg“ von Margarethe von Trotta gezeigt. Philip Kahle
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