Press-Schlag
: Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?

■ Stasi-Chef Erich Mielke und die Fußball-Schiedsrichter der DDR

An diesen Tag mag sich Bernd Stumpf nur ungern erinnern. Am 22. März 1986 wurde die Karriere des FIFA-Schiedsrichters aus Jena abrupt beendet. Im Bruno-Plache-Stadion leitete er das Spitzenduell der DDR-Oberliga zwischen dem 1. FC Lok Leipzig und dem Dauermeister BFC Dynamo, dem Stasi-Verein. Seit jenem Tag hat Stumpf ein bitteres Los zu tragen: Sein Name gilt als Synonym für einen „BFC-Schiedsrichter“ schlechthin.

Leipzig ging schon in Minute drei durch Olaf Marschall in Führung. Von einem grandiosen Matthias Liebers dirigiert, kontrollierte man das Match – bis dem ungeliebten Serienmeister wie so oft der Schiedsrichter zur Hilfe kam: In der 81. Minute sah zunächst Liebers die rote Karte, nachdem er zweimal zu früh aus der Freistoßmauer getreten war. Dann ließ Stumpf solange nachspielen, bis ein Berliner in den Leipziger Strafraum gelangte und dort erschöpft zu Boden sank. Strafstoß in der 95. Minute, das Sächsische Tageblatt spottete: „Fallelfmeter“.

Der BFC rettete das Unentschieden und wurde zum siebten Mal in Folge Meister. Bernd Stumpf aber wurde eine Woche später vom Präsidium des DDR-Fußballverbandes abgesetzt. Der „Fall Stumpf“ beschäftigte sogar das für den Sport zuständige Politbüromitglied Egon Krenz, und Erich Honecker persönlich segnete den negativen Bescheid auf den Protest Stumpfs ab. Mielke hingegen erboste sich über Presseberichte und holte Hilfe beim Klassenfeind: „Selbst Die Welt schreibt, daß der Elfmeter in der normalen Spielzeit in der 93. Minute gepfiffen wurde.“ Die FDJ-Zeitung Junge Welt dagegen wurde von Mielke der „Schmiererei“ geziehen. Den fußballverrückten Stasiminister nahm sich dann Erich Honecker mit der Bemerkung zur Brust, er solle „endlich mal Ruhe geben“.

Es hätte damals „jeden erwischen können“, glaubt Bernd Stumpf, der heute im thüringischen Fußballverband Schiedsrichter betreut. „Der BFC ist gehaßt worden. Da hat schon das ganz normale Pfeifen gereicht, und die Massen im Stadion haben auf den Bänken gestanden und in die Gitter gebissen. Es gab ja nichts, wo man seinen Unmut freien Lauf lassen konnte, außer den Sportplatz.“

Bereits ein Jahr zuvor hatte Karl Zimmermann, der Generalsekretär des DDR-Fußballverbandes (DFV), in einer geheimen Analyse der Saison 1984/85 Bevorteilungen des BFC aufgelistet. Mindestens acht Punkte hatte der BFC dem „gezielten Einfluß anderer Instanzen“ zu verdanken. Der Name Mielke wurde natürlich nicht genannt. Eine weitere Studie aus dem Präsidium des DDR-Fußballverbandes belegt, mit welcher Unverfrorenheit mitunter gepfiffen wurde: Eine achtköpfige Funktionärsgruppe wies 1985 in einer Videoanalyse des FDGB-Pokalendspiels (Dresden–BFC 3:2), das im Stadion der Weltjugend unter den Augen Mielkes ausgetragen wurde, dem Schiedsrichtertrio 17 teilweise haarsträubende Fehler zugunsten des BFC nach. Das interne Fazit Zimmermanns: „Der Haß gegen den BFC wird immer größer, die Konkurrenz hat resigniert und nimmt den Kampf um die Meisterschaft gar nicht erst auf.“

Die pikante Verbindung zwichen Schiedsrichtergilde und MfS erkunden jetzt Wissenschaftler der Universität Potsdam, die zunächst eine Top ten der Schiedsrichter erstellten, die besonders oft beim BFC eingesetzt wurden. Die Namen reichte man an die Gauck-Behörde weiter. „Trefferquote“ bisher: 50 Prozent. Offiziere im besonderen Einsatz, IMs und hauptamtliche Mitarbeiter mit der gesellschaftlichen Tätigkeit „Oberligaschiedsrichter“ wurden pikanterweise von der „Arbeitsgruppe des Ministers“ Erich Mielke geführt.

Bernd Stumpf allerdings zählt nach bisherigen Erkenntnissen nicht zu den „besonderen Freunden“ des BFC. Für den Thüringer ist dies nur ein schwacher Trost. Jens Weinreich