■ Wer dem Maastrichter Vertrag mit einem schlichten antieuropäischen Affekt begegnet, der hat schon verloren: Mit dem Euro gegen die Neoliberalen
In den anderen EU-Ländern wird sehnsüchtig erhofft, daß irgendwann auch in Deutschland eine Debatte über die verderbliche Europapolitik der Regierung Kohl-Kinkel-Waigel beginnt. Doch anstelle dessen bricht regelmäßig eine Scheindiskussion los, die nur zwei Fronten kennt. Auf der einen Seite stehen die entschiedenen „Pro-Europäer“, die sich an das nun einmal beschlossene Vertragskonvolut ketten, als wären all jene des Teufels, die die scheinbar unauflösliche Vermählung des Maastrichter Pakts mit dem alles dominierenden Neoliberalismus in Frage stellen. Ihnen gegenüber formieren sich die „Maastricht- Gegner“, die die Reetablierung von Politik im nationalen – wenn nicht gar regionalen – Rahmen prophezeien oder, im schlimmeren Falle, erhoffen.
Letztere bilden eine recht unorthodoxe Koalition. Sie reicht von den Würdenträgern relativ reicher Regionen wie Edmund Stoiber oder Kurt Biedenkopf, die unisono gegen die Brüsseler Subventionsadministration aufbegehren, über Gerhard Schröder bis hin zu manchen Linken, die mit regionalistischem Gestus ihre Euro-Skepsis zu Markte tragen, wie dies an dieser Stelle Werner Raith (taz vom 7. 2.) getan hat. Der sieht sich am Ende seiner Ausführungen Hand in Hand mit Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer. Während der Banker seine Anti-Euro-Ressentiments noch mit Stabilitätsgerede bemäntelt, will Raith sich schon darauf einstellen, „was nach Europa kommen könnte“.
Einer solchen Kritik gilt der Vertrag von Maastricht als Ursache dessen, wovon er bestenfalls die Folge ist: dem Ökonomismus als machtvolle Weltanschauung, dem Neoliberalismus als alles beherrschende Ideologie. Beseelt von der trügerischen Hoffnung, im nationalen Rahmen ließe sich dem Marktmythos widerstehen, wird Maastricht zur Chiffre der Misere. Doch wer glaubt, die italienische oder französische Regierung stünde, verfügte sie über eine „souveräne“ Währung, im Kampf gegen die Tyrannei der Finanzmärkte auf besserem Posten, wird seine Wunder erleben.
Hier schlägt ein Unbehagen zu Buche, dessen Ursache in dem Sachverhalt gründet, daß der Maastrichter Vertrag Politik in einem emphatischen Sinne nicht mehr vorsieht. Beschäftigungspolitik etwa, eine antizyklische Finanz- und Währungspolitik wäre, setzt sich das Bonner Diktat durch, unmöglich. Nur: Im nationalen Kontext ist solches von vornherein kaum mehr vorstellbar. Deshalb ist ein solcher Reflex ein Symptom der gegenwärtigen Misere und kein Beitrag zu deren Lösung.
Könnte es sein, daß dieser Reflex typisch deutsch ist? Dies scheint so. Denn andernfalls – würde man die Schuld an allem Übel nicht unbedacht auf „Maastricht“ schieben – müßte man konkreter werden. Man müßte etwa sagen, daß die rein ökonomistischen Konvergenzkriterien einen gewichtigen Anteil an der Malaise haben; daß die dem deutschen Vorbild nachempfundene, politikferne Konstruktion der Europäischen Zentralbank ein weiteres Handicap darstellt; daß vor allem der von Theo Waigel beim jüngsten Dubliner Gipfel durchgesetzte „Automatismus“, der künftige Verstöße gegen die Konvergenzkriterien unter finanzielle Strafe stellt, ohne daß die Regierungschefs auch nur die Chance hätten, davon aus vernünftigen politischen Gründen abzusehen, eine regelrecht perverse Selbstentmachtung der Politik darstellt.
Man müßte also auch in Deutschland aussprechen, was in den 14 anderen europäischen Staatskanzleien derweil zum guten Ton gehört. Dann gelte es allerdings, sich von jenem geheimen illusionären Kraftfeld der bundesrepublikanischen politischen Kultur loszusagen, das mit dem Begriff der „D-Mark-Identität“ wohl nur unzureichend beschrieben ist.
Doch darüber wird selten ein Wort verloren. Im deutschen Alltagsbewußtsein gelten Kohl und seine Truppe wider alle Evidenzen immer noch als „gute Europäer“. Daß Finanzminister Waigel im Oktober nur aufgrund der komplizierten Stimmengewichtung Arm in Arm mit vier seiner Kollegen das einzige nennenswerte europäische Beschäftigungsprogramm, den Verkehrswegeausbau, abwürgen konnte, fand hierzulande wenig Beachtung.
Der neoliberale Irrglaube, die Wirtschaft würde florieren, ließe man den Marktkräften bloß freie Hand, materialisiert sich in dem Dogma, das der amerikanische Politikplaner Edward Luttwak „Zentralbankismus“ nennt. Dieser Zentralbankismus, eine veritable Zivilreligion, beherrscht zwischen Rhein und Oder derart die Köpfe, daß sich der Alltagsverstand davon offenkundig nicht freizumachen versteht. Er neigt dann eher zu wirren Rundumschlägen, als die Dilemmata präzise zu benennen.
Doch wenn der Hohepriester dieser Zivilreligion, Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer, sagt, daß die Entscheidungen nationalstaatlicher Politik heute „unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden“, dann sollte uns von ihm zunächst nicht diese Einsicht unterscheiden, sondern die Tatsche, daß er dies mit Zufriedenheit zur Kenntnis nimmt, wir aber uns die Frage zu stellen haben, was zu tun wäre, damit dies fürderhin nicht mehr so sei.
Die Reetablierung einer souveränen Lira, D-Mark oder eines souveränen Franc ist kein Schritt auf diesem Weg. Der Euro, richtig verstanden, böte allein die Chance, daß die europäische Währung zum global player würde und somit der Anarchie der Finanzmärkte widerstehen könnte. Der Euro ist hierfür wohlgemerkt die Voraussetzung, doch noch keine Versicherung, daß dies auch gelingt. Der Rückzug in den nationalstaatlichen Schmollwinkel hilft jedoch ebenso wenig wie die unter dem Label Maastricht betriebene bloße Europäisierung des Ökonomismus. Der Königsweg dagegen ist, die Macht des Ökonomismus europaweit zu brechen. Hierfür gibt es genügend erfreuliche Anzeichen, in Frankreich, in jenen Ländern, die in den Bonner Stäben verächtlich „Club méditerrané“ genannt werden – bloß in Deutschland sonderbarerweise nicht.
Als Österreicher erlaube ich mir, zum Abschluß den neuen Bundeskanzler dieses kleinen Landes zu zitieren, der eben aus dem Finanzministerium an die Regierungsspitze gewechselt hat, einen Kurswechsel auf europäischer Ebene anmahnte: „Brecht die Macht der Finanzminister.“ Dem ist im Grunde wenig hinzuzufügen, außer, der Klarheit wegen, daß das Diktat des Ökonomismus entweder in einem vereinten Europa gebrochen wird – oder es wird nicht gebrochen. Robert Misik
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