Wer braucht noch Liberale?: Gelber Atem, faule Zähne

Heutige Liberale blockieren und sabotieren, wo sie nur können. Ihr vulgäres Freiheitsverständnis verbaut ihnen die eigene Politik.

Volker Wissing vor einer Wand mit einem illustrierten Bus

Deutschlands oberster Blockierer: Der Liberale Volker Wissing (FDP) versaut die Verkehrswende Foto: dpa

taz lab, 11.03.2023 | Von RAOUL SPADA

Gramsci sei fast Liberaler und liberale Ideen für Linke „wie Orangensaft nach dem Zähneputzen“. So stand es letzte Woche in dieser Kolumne. Mit bitterem Beigeschmack? Ätzend? Das trifft es gut. Denn wer sich heute stolz liberal nennt, den sollte man lieber meiden.

Aber Demokratie, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit – das sind doch liberale Ideen? Stimmt. Nur zeichnen sich die traurigen Liberalen von heute nicht mehr durch ihren Widerstand gegen Autoritarismus und Absolutismus aus, sondern nur noch durch ein vulgäres Verständnis von Freiheit. „Tempolimit? Maskenpflicht? Nicht mit uns!“ Das ist reaktionär, widersprüchlich – und hat mit Hobbes, Locke und Rawls nichts mehr zu tun.

Portrait Raoul Spada

Raoul Spada, Jahrgang 1992, ist Editorial SEO und arbeitet seit fünf Jahren für das taz lab. Politische Philosophie lag ihm schon im Publizistik- und Politikstudium. Foto: Anke Peters

Heutige Liberale lieben Chancengleichheit und wollen doch Sozialleistungen kürzen. Sie sagen „mit uns keine Steuererhöhungen“, und fordern beim ersten Anlass höhere Mehrwertsteuern.

Vordergründig feiern sie die Freiheit und das Individuum, nebenbei sabotieren sie den Gesellschaftsvertrag. Immer wieder beweisen sie, aus Unfähigkeit oder aus Egoismus: Es geht ihnen einzig um Umverteilung von unten nach oben.

Wenn es dann mal ums Anpacken geht, lobpreisen sie den heilsbringenden Fortschritt und hoffen untätig auf die Zukunft. Selbsternannte Liberale sind heute die wahren Blockierer, nicht die Letzte Generation.

Transformation durch Kollektive

Gramsci übrigens glaubte nicht, Individuen oder Ideen seien die Motoren des gesellschaftlichen Wandels. „La volontà collettiva organizzata“, der kollektiv organisierte Wille, ist in seinem politischen Denken ausschlaggebend für die Transformation. Gramsci war kein Liberaler. Er hielt es nur für unabwendbar, sich an bürgerliche Praxis anzupassen: Zugeständnisse machen, ein bisschen reformieren – und dabei im Kollektiv organisieren.

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In einer ganz anderen Frage waren sich frühe Liberale und Sozialist*innen aber gar nicht so unähnlich: Wie beschränken wir Macht und verhindern Herrschaft? Weltweit agierende Großkonzerne, hyperfluides Finanzkapital und moderner Lobbyismus waren damals – nebenbei erwähnt – noch kein Problem.

Also: Ab auf die Straße! Irgendjemand muss ja die Zahnarztrechnung bezahlen.