: „Wenn hier Schluß ist, finde ich keinen Job“
■ Gedrückte Stimmung bei Bergleuten. Kaum Kritik an der Rolle der Gewerkschaft
Gelsenkirchen (taz) – An die Zunkunft des Steinkohlebergbaus glaubt Sven Toczkowski nicht mehr. Und dennoch hat der 18jährige vor ein paar Monaten eine Ausbildung auf der Gelsenkirchener Zeche Hugo/Consolidation begonnen. Warum? „Weil ich Industriemechaniker lernen wollte und nirgendwo sonst eine Ausbildungsplatz gefunden habe.“ Daß es eine Übernahmegarantie für ihn nicht gibt, stört den jungen Mann nicht: „Nach Abschluß der Lehre sehen wir weiter. Ich bin eigentlich nur wegen der Ausbildung hier gelandet.“ Am Mittwoch mittag steht Toczkowski zusammen mit etwa zweitausend Kolleginnen vor der evangelischen Apostelkirche in Gelsenkirchen-Horst, die die Bergleute seit Wochen mit Einverständnis der Kirchenleitung „besetzt“ halten.
So locker sieht Frank Lecki die Lage nicht. Er hofft, daß der Bergbau ihm noch lange eine Beschäftigung bietet, „denn wenn hier Schluß ist, finde ich woanders ganz gewiß keinen neuen Job“. Seit sieben Jahren arbeitet der 25jährige als Bergmechaniker unter Tage. Ein Beruf, „den ich anderswo nicht ausüben kann“. Auch Lecki war seinerzeit „froh“, überhaupt eine Lehrstelle gefunden zu haben. Heute bildet die Ruhrkohle AG fast nur noch Facharbeiter für den Elektro- und Maschinenbereich aus, deren Qualifikation auch in anderen Branchen gefragt ist. Der 36jährige Joachim Dambeck hat es in den letzten Monaten wieder und wieder versucht. Ergebnis: „Mich wollte keiner haben.“ Es ist diese Alternativlosigkeit, die die Bergleute entschlossener als je zuvor um ihre hochsubventionierten Arbeitsplätze kämpfen läßt. Und so rühren sich alle Hände zum tosenden Applaus als Betriebsrat Klaus Herzmanatus vor der Kirche ankündigt, daß „wir uns in Bonn alle wiedertreffen, wenn bei dem Gespräch mit Kohl nichts herauskommt“. Ein paar Kilometer weiter östlich, vor den Toren der Hertener Zeche Ewald, finden zu diesem Thema hitzige Diskussionen statt. Vorsorglich sind für den heutigen Tag schon dreißig Busse geordert worden, um gegebenfalls „Bonn stillzulegen“, wie es einer der Kumpel ausdrückt. Es scheint, als habe Kohl mit seiner Gesprächsabsage zusätzliche Reserven mobilisiert. Von Kritik an der Führung der IG Bergbau und Energie ist weder in Herten noch in Gelsenkirchen etwas zu hören. Offenbar hat Kohl unfreiwillig die Risse gekittet, denn nun wollen alle dem Kanzler zeigen, so ein Betriebsrat, „daß wir uns von dem nicht in die Knie zwingen lassen“. Walter Jakobs
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