Wenn eine Beziehung endet: Unter Trümmern
Trennung ist auch mit Kindern kein böses Wort mehr. Doch bei aller Coolness, was Patchwork und Partnerwechsel angeht, ist das Vergehen einer Beziehung das, was es immer war - schmerzhaft.
Jetzt bin ich wieder ganz oben. Wenn ich mich aus dem Fenster lehne, schaue ich hinunter in einen von Brandmauern umstellten Hinterhof. Einer Freundin habe ich geschrieben, dass die Dächer ringsherum etwas Pariserisches haben. Mag sein. In Paris war ich nur einmal, mit 18. Und dann wollten wir immer noch mal zusammen hinfahren. Im Frühling. Aber das wurde dann nichts mehr.
Ich bin wieder ganz oben, denn aus so einer Wohnung unterm Dach, in einer anderen, kleineren Stadt bin ich vor elf Jahren ausgezogen. Sie war ein bisschen schäbiger, ein bisschen kleiner, ein bisschen billiger. Ich hatte weniger Bücher. Aber ich besaß Dinge wie eine Matratze und einen Kühlschrank, einen Fernseher und eine Nagelschere. Ja, selbst die haben wir zusammen benutzt. Vor elf Jahren war die Wohnung immer chaotisch. Jetzt habe ich mir als Erstes einen Staubsauger gekauft, einen Wischmob und ökologische Putzmittel, und meinen Eltern habe ich gesagt: Wenn ihr mir was schenken wollt, dann bitte Bettwäsche. An Kondome habe ich erst vor zwei Wochen gedacht - da waren schon ein Fußball erworben, ein Mühle- und ein Schachspiel, viele Secondhand-Comics und die Ferrari-Collection von Shell. Ich bin nicht infantil geworden. Der Unterschied zu der Epoche, als ich mit Anfang dreißig dem Alleinwohnen adieu sagte, ist der: Ich wohne jetzt nicht mehr allein.
Die Familienberaterin sagt, dass Kinder einen Lebensmittelpunkt brauchen. Ob beim Vater oder bei der Mutter sei egal - na ja, das war auch nie unser Problem. Aber das mit dem Lebensmittelpunkt an sich gestaltet sich schwierig. Will ich meine Kinder wirklich nur alle vierzehn Tage sehen? Mein kleiner Sohn ist vier, und in vierzehn Tagen lernt er mindestens ein Dutzend neue Worte. Oder will ich wirklich für jeweils zwei Wochen allein zuständig sein für Schule und Hort, Kita und Kinderturnen, Schlagzeug und Fußball, Scharlach und Durchfall? Wir glauben unserer Familienberaterin. Aber wir kriegen das noch nicht so richtig umgesetzt.
Früher haben wir oft festgestellt, dass wir uns weniger streiten, wenn abends nur einer zu Hause ist. Dann gab es keine Ausflüchte, weil man eigentlich zu müde ist, die Kinder ohne Geschrei ins Bett zu bringen. Wenn niemand da ist, der eigentlich dran ist - und wie oft wäre eigentlich der andere dran gewesen -, dann entfalten sich plötzlich Energien, von denen man vorher nichts wusste. Dann liest man eben doch noch eine halbe Stunde vor, dann lässt man sich noch zum Raufen breitschlagen und lacht sich mit den Jungs halb tot; und schläft dann ein, in jedem Arm einen von ihnen. Irgendwann nachts schreckt man hoch, löst die Kinder aus den tauben Gelenken, schlappt in die Küche und macht sich einen Tee. Man schaut auf die Uhr. Und das ist der Moment, wo sich einem die zunächst harmlose, aber im Wiederholungsfall seltsam pochende Frage stellt: Da mein Partner nicht hier ist - wo ist er eigentlich gerade? Die Antwort, die man dann irgendwann hingeworfen bekommt oder erzwingt, macht einen nicht unbedingt glücklicher.
Wenn wir uns bei unseren Organisationstreffen, die etwa alle zwei Wochen stattfinden, selten in die Haare kriegen, dann liegt das an der Formel, auf die wir uns verständigt haben: Wir sind betrogene Betrüger. Keiner kann für sich in Anspruch nehmen, es richtig gemacht, den anderen geliebt oder wenigstens mit Respekt behandelt zu haben. Wir haben uns gegenseitig belogen, dass sich die Balken nicht nur gebogen haben - sie sind glatt durchgebrochen, unser gemeinsames Haus ist eingestürzt. Als es kaputt war, haben wir uns den Staub aus dem Gesicht geheult, uns nachspioniert, uns geschlagen und beworfen, beschimpft und verleumdet. Und als wir damit endlich fertig waren (aus Erschöpfung lediglich, nicht weil es uns nicht weiterhin eine perverse Befriedigung verschafft hätte) - dann, viel später erst, haben wir angefangen, die Trümmer zu durchsuchen, in denen, stimmt ja, doch irgendwo noch unsere Kinder stecken mussten.
Der Hortleiter, vor dem wir beide ein wenig Angst haben, weil wir ihn so gut finden, lädt uns zum Gespräch. Wir fahren zusammen hin, das Auto ist voll mit schlechtem Gewissen. Aber er behandelt uns gar nicht wie die Aussätzigen, als die wir uns empfinden. Er spricht von Schicksal, von dem jeder eins habe. Und unser ältester Sohn, für den er zuständig ist, habe nun eben dieses. Man merke ihm den Schlag an. Nichts sei wie vorher. Aber er werde dieses Schicksal meistern. Die Kita-Betreuerin sagt, als wir sie informieren, nur: Ach, ihr Großen! Was macht ihr bloß für Sachen. Dabei haben wir uns so klein schon lange nicht mehr gefühlt. Wir werden auch immer dünner, und es dauert dann aber doch bemerkenswert lang, bis ich den Begriff zum ersten Mal höre: Das, sagt jemand, liegt an der Trennkost.
Ich schlafe bei Bekannten, in Hotels, bei Freunden - in dieser Reihenfolge. Denn die Hotels sind teuer, und die Freunde sind meist unsere Freunde. Sie wollen mit mir über uns reden. Sie wollen etwas gutmachen. Ich will aber nur irgendwo schlafen und irgendwo duschen und irgendwie ins Internet. Einem besonders lieb-begriffsstutzigen Freund erzähle ich den Wiener Witz von der Dame am Villeneingang. Der Obdachlose an ihrer Tür sagt: Gnädigste, ich habe seit drei Tagen nichts gegessen! Die Dame antwortet: Mein lieber Freund, Sie müssen sich zwingen! Das ist die harmlose Variante. Ich muss nämlich auch zur Kenntnis nehmen, dass Angst vor Ansteckung besteht. Das Bündnis Familie, das doch Sicherheit geben sollte, ist offenbar so brüchig, dass, wer ein solches Bündnis aufgekündigt hat, ferngehalten werden muss. Und dann gibt es noch all diejenigen, die schon lange auf den Bruch gewartet haben und nun ihre Chance wittern. Obwohl sie gerade miterleben, wie leidvoll das Vergehen einer Beziehung ist, sehen sie nun die Gelegenheit gekommen, ihren Singlestatus zu beenden - und zwar mit jeweils zwei Personen, die ja bewiesen haben, dass sie es länger als ein Jahrzehnt mit einem anderen Menschen aushalten können. Ich höre den Satz, dass nur Männer, die aus einer Beziehung kommen, interessant sind - die anderen seien zu asozial oder zu schmuddelig. In ungefähr zehn Jahren werde ich vielleicht ein Gespräch mit meiner Exfrau führen, um mehr über die männliche Ausprägung dieses Typus zu erfahren. Vielleicht lieber in zwanzig.
Ich glaube an den Satz, dass man einnimmt und dass man ausgibt. Seit ich meine Wohnung habe, bekomme ich viel Besuch aus anderen Städten, und mit dem Besuch gehe ich viel weg. Aber das reicht mir nicht, ich bin unersättlich auf Ablenkung und Alkohol aus; und so betrete ich eines Morgens - im Sommer wäre es hell - noch eine Bar in der Nachbarschaft, nachdem sich der Besuch schon erschöpft in meine Bude verabschiedet hat. Ich öffne die Tür und da steht der. Der halt. Ich schließe die Tür wieder und gehe ein paar Schritte Richtung nach Hause. Ich sage mir, dass natürlich auch sie jetzt irgendwo unterwegs sein und genau wie ich die Tür einer beliebigen Bar öffnen könnte, und da würde dann die stehen. Die halt. Die, wie ich es sehe, überhaupt nichts Verwerfliches getan hat, so wie eben umgekehrt der, wie sie es sieht, ja auch nichts. Dann nehme ich den Revolver aus der Tasche, kehre um, betrete die Bar und schieße ihm dreimal in die Brust - das ist der langsamste und schmerzhafteste Tod, den man mit einer Schusswaffe verursachen kann, nein, nicht der Bauchschuss.
Seit drei Monaten bin ich nun wieder ganz oben. Alles funktioniert, sogar der Frühling ist tatsächlich noch gekommen. Ich laufe mit meinen Söhnen vom Bolzplatz nach Hause. Der Kleine spricht seit einiger Zeit schon schlicht von der neuen und von der alten Wohnung. Der große hat bereits mehrmals in Gesellschaft geäußert, dass seine Eltern getrennt sind. Als wir das erste Eis des Jahres essend um die Ecke biegen, fragt er, ob er in dieser Straße - es ist dieselbe Straße, in der sich auch die alte Wohnung befindet -, wohnen wird, bis er mal auszieht. Ich sage fröhlich, mal sehen. Aber als ich den Schlüssel aus der Tasche nehme, um die Haustür aufzusperren, fragt er konkreter. Ich sage langsam: Nein, das glaube ich nicht. Ich sage: Nie mehr. Und ich umarme ihn, der ganz passiv bleibt, und will sagen, wie unglaublich leid mir diese ganze Scheiße tut und dass er mir und uns doch bitte verzeihen soll, dass wir solche Arschlöcher sind und sage gar nichts und so stehen wir, den Gehsteig blockierend, da, bis mein kleiner Sohn sagt, dass er jetzt sofort dringend aufs Klo muss.
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