: Wenn die ganze WG zum Sozialamt muß
■ Wie Sozialhilfe-Empfänger gesetzlich angestiftet werden, das Sozialamt zu bescheißen
„Das können die doch nicht ernst meinen..“ So und ähnlich ist die Reaktion, die am häufigsten anzutreffen ist, wenn man Wohngemeinschaften in Bremen nach den neuesten Bonner Sparplänen fragt: Bundesgesundheitsminister Seehofer will die Wohngemeinschaften als „Haushaltsgemeinschaften“ in die soziale Pflicht nehmen wie bisher schon „eheähnliche Gemeinschaften“. Steuervorteile soll es nicht geben, aber Nachteile, wenn einer Sozialhilfe bezieht. Dann nämlich sollen die Sozialämter, so steht es im Paragraph 16 des Gesetzentwurfes, grundsätzlich davon ausgehen, daß es sich um eine „Haushaltsgemeinschaft“ handelt. Hat einer der Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft mehr, als ihm zum Leben zusteht, ist er zur sozialen Unterhalts-Hilfe verpflichtet - und das Sozialamt spart.
Seit Mitte Juni liegt dieser Gesetzentwurf auf dem Tisch, sagt Gertrud Janzer-Bertzbach, zuständige Abteilungsleiterin beim Sozialressort. So richtig öffentlich gemacht wurde der Seehofer-Plan aber erst gestern durch die taz. Noch im Juli will das Bundeskabinett darüber beschließen.
„Wir würden gezwungen sein, die bisher geltende Verwaltungsanweisung für die Sozialämter neu zu fassen“, im Gesetzentwurf gibt es da keinerlei Ermessensspielraum. Das bedeutet: Wer dann zum Sozialamt kommt, wird nicht nur nach eheähnlichen Lebensverhältnissen befragt, sondern auch nach seiner Wohnsituation. Und wenn sie oder er angibt, mit anderen zusammen zu wohnen, „dann müssen wir von der Vermutung ausgehen, daß die anderen zum Lebensunterhalt mit beitragen“. Die Mitbewohner müssen ihre finanziellen Verhältnisse offenlegen, damit das Sozialamt berechnen kann, wieviel von dem Sozialhilfeanspruch eventuell übrig bleibt.
Wer trotzdem die volle Sozialhilfe bekommen will, der muß nachweisen, daß es sich bei der Wohngemeinschaft nicht um eine „Haushaltsgemeinschaft“ handelt. „Das ist sehr schwierig zu beurteilen“, sagt Frau Janzer-Bertzbach. Wenn jedes Mitglied der Wohngemeinschaft zum Beispiel dieselbe Summe auf ein gemeinsames Haushalts-Konto zahlen würde, dann wäre das „ein guter Hinweis“ darauf, daß die Wohngemeinschaft keine gegenseitige Unterstützung einschließt. aber wenn dann herauskommt, daß einer für den anderen doch Kleidung kauft oder so, dann ist das ganze Sozialhilfebetrug und wird entsprechend geahndet.
In den bremischen Wohngemeinschaften - allein 250 stehen im Telefonbuch offiziell unter „W“ eingetragen - ist die Nachricht noch gar nicht richtig angekommen. Viele haben keinen Sozialhilfe-Empfänger unter sich, einige doch. Allgemein sind die meisten empört, konkret auf ihren Fall bezogen aber eher gelassen. „Ich lebe mit meinem Freund hier, aber das habe ich dem Sozialamt nicht gesagt“, sagte uns eine „WG-Frau“. Nur die zweite Notlüge, die das Gesetz als „Betrug“ definiert, wäre unter den neuen Bedingungen fällig.
„Klar, man unterstützt sich in einer WG, wenn es nicht nur eine Zweckgemeinschaft ist“, sagt ein anderer. Gleichzeitig wird jeder verlangte Nachweis erbracht. „Wir könnte ja, jeder für sich natürlich, ein Haushaltsbüchlein führen“, meint ein anderer erfindungsreich.
Keine Haushaltsgemeinschaft? „Sowas würden wir auf jeden Fall nachweisen.“ K.W. / Foto: Joost
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