: Wenn die Worte fehlen
■ Irrtümlich werden Aphasiekranke oft für geistig behindert gehalten
Cloppenburg Die Frage nach seinen Kindern hat Gerhard Bohlsen verstanden. Doch eine Antwort will ihm nicht gelingen. „Mmh, mmh“, versucht er ihre Zahl deutlich zu machen. Erst als Barbara Bautz ihre Lippen zu einem „Zwww“ formt, gelingt dem Familienvater das blockierte Wortbild: „Zwwwei“, sagt er betont langsam und deutlich, und dann noch einmal wie erlöst: „Zwei!“
Der 45 Jahre alte Polizeihauptmeister aus Cloppenburg ist einer von 350.000 Deutschen, die jährlich einen Schlaganfall oder eine andere Art der Gehirnschädigung erleiden, und einer von 80.000, die als Folge eine „Aphasie“ zurückbehalten. „Aphasie“, so erklärt Barbara Bautz, „heißt soviel wie ,Verlust der Sprache'. Vor allem Schlaganfall- und Unfallopfer, aber auch Tumorerkrankte und andere Schädel-Hirnverletzte werden davon betroffen.“
Aphasie verändere die Fähigkeit, sich mit Sprache auszudrücken und Sprache zu verstehen, erläutert die 37 Jahre alte Logopädin. Keinesfalls liege bei der Krankheitine geistige oder psychische Störung vor. Für einen Nichtbetroffenen sei es schwer, sich vorzustellen, daß die Sprache gestört, aber das Denken und die Fähigkeit zur Kommunikation ohne Sprache noch erhalten ist. Viele Aphasiker haben zudem ihre Lesefähigkeit verloren, leiden an Körperlähmungen oder Sehbehinderungen und erdulden eine beeinträchtigte Sprechmotorik und Körperwahrnehmung.
Die Therapeutin Barbara Bautz gehört zu dem sechsköpfigen Team von Sprachheilpädagogen, Linguisten und Phonetikern des Aphasie-Zentrums Josef Bergmann in Langförden. Derzeit werden dort 30 Patienten ambulant und stationär betreut, weitere 15 mobil in sogenannten Akutkrankenhäusern der Umgebung. Das im Mai 1995 in der ersten Baustufe fertiggestellte Rehabilitationszentrum für Aphasiker ist weltweit die bisher einzige Einrichtung, in der Betroffene eine Sprachschulung erhalten und in der ihre Wiedereingliederung in die Familie, und Beruf trainiert wird.. Zu dem Unternehmen gehören neben dem Verwaltungstrakt 17 Zweibettzimmer für stationäre Aufnahmen – auch für Angehörige von Erkrankten – sowie Schulungs- und Gymnastikräume und eine Reithalle.
Die Therapiekosten würden in der Regel von den Krankenkassen übernommen, versichert der Geschäftsführer Werner Dornieden. Das sei nicht selbstverständlich. Denn noch immer gehöre Aphasie – auch in großen Teilen der Ärzteschaft – zu den wenig bekannten und erkannten Krankheitsbildern. Hier bestehe erheblicher Aufklärungsbedarf, sagt Dornieden.
Dem Polizeihauptmeister Gerhard Bohlsen gelingt an diesem Tag wieder ein Fortschritt. „Der Mann fährt Auto“, erklärt er das ihm vorgelegte Bild. „Und wo?“. „Auf der Straße!“.
Heinrich Heeren, dpa
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