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Wenn die Warmwasserquelle versiegt

Alljährlich schwärmen die MoskauerInnen in andere Bezirke aus, um bei Freunden zu baden  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Neulich, ich hatte unerwartet Geld in der Tasche, wollte ich bei Afrosinja, einer lebenslustigen und properen Moskauer Witwe, 100 Dollar zurückbezahlen. Die geplante Stippvisite stieß jedoch zu meiner Überraschung auf Ablehnung. War meine Bekannte unerwartet zu Reichtum gekommen? Weit gefehlt. „Heute abend“, sagte Afrosinja am Telefon, „fahre ich mit Edik (Liebhaber), Alik (Söhnchen), Bobik (Hund) und Antonoschka (Schildkröte) zu Freunden. Wir müssen dringend baden!“ Ihre drei Katzen ziehen die wasserlose Selbstreinigung vor und sind somit den menschlichen BewohnerInnen der russischen Hauptstadt haushoch überlegen. Besonders in jenen Wochen, wo warmes Wasser für Afrosinja kostbarer ist als Westwährung. Der Grund? Alljährlich werden Moskaus Warmwasserleitungen überholt und dafür reihum die Bezirke vom Netz genommen. Diesmal hatte es Afrosinja erwischt.

2.200 Kilometer Rohre schlängeln sich allein für warmes Wasser durch Moskaus Untergrund. Viele davon sind so marode, daß Jahr für Jahr 100 Kilometer vollständig ersetzt werden müssen und fast alle Leitungen ständig reparaturbedürftig sind. Und — so vertraute Boris Luschenko, Chef des Moskauer Warmwasseramtes kürzlich der Wochenzeitung 'Moscow Times‘ an — das gehe nun einmal angesichts der kümmerlichen technischen Ausrüstung dieser Behörde nicht ohne abschalten. Luschenko versprach, daß dabei kein Haus länger als 18 Tage der begehrten Flüssigkeit entbehren müsse. Natürlich, das weiß die leidgeprüfte Bevölkerung, sind seine Worte Schall und Rauch.

Der genaue Zeitpunkt, zu dem der Warmwasserhahn schweigt, ist für 12 Millionen Moskauer jeglicher Nationalität genauso wenig vorhersehbar und ebenso unabwendbar wie der eigene Tod. „Das machen sie extra!“, erläutert mir Jefdokija, eine andere Bekannte, die zu Depressionen neigt: „Es soll mit elementarer Gewalt über dich kommen, wie eine Naturkatastrophe. Sie wollen dir die Möglichkeit vergällen, deine Dienstreisen in diese Zeit zu legen oder gar ans Schwarze Meer zu fahren. Den Krankenhäusern, Hotels und Frisiersalons wollen sie die Wirtschaftsplanung vermiesen. Und absichtlich machen sie es auch immer in Kaltwetterperioden!“ Die Statistik allerdings spricht gegen den letzten Teil von Jefdokijas Theorie. Denn laut Protokoll wird die Sanierung der Leitungen den Moskauer Stadtvierteln schichtweise vom 12.Mai bis zum 28.August auferlegt — ein Zeitraum, in dem sich hier recht vielfälltiges Wetter vollzieht.

Ende Mai sollte Jefdokija dennoch recht behalten. Nach drei Wochen plantschen im Kalten, bereits von Rheumatismus und Angina befallen, hatte sie die Nase voll und rief im Bezirksamt an: wann sie denn endlich wieder warmes Wasser erhalte? Die Antwort war kurz, aber erschöpfend: „Sie glauben doch hoffentlich nicht, daß Sie die einzige sind, die in Moskau keines hat!“

Am wenigsten zu lachen haben in der Periode unbegrenzter Reparaturen Mütter mit Säuglingen: „Die Hälfte deiner Zeit schleppst du dich mit dem Kind ab, und die andere Hälfte mit Schüsseln und Zinkeimern — Schwamm drüber!“ Afrosinja will sich am liebsten gar nicht an die Zeit erinnern, als Teenager Edik geboren wurde. Früher ging man einfach in die „Banja“, das traditionelle russische Schwitzbad. Mit den schicken Privatsaunen, die heute die neuen Businessmeny mit Schampanskoje und Gespielinnen aufsuchen, hatte es allerdings nichts gemein. Es war vielmehr im klassischen Sinne ein Volksbad für jedermann.

Heute aber werden immer mehr Moskauer „Banjas“ geschlossen und wegen ihrer hübschen Kachelungen und Interieurs für gewinnträchtigere Zwecke umfunktioniert. Ja, und auch die wenigen noch funktionierenden sind teuer geworden. Da muß man schon zwischen 15 und dreißig Rubelchen für den Besuch hinblättern — kein Spaß für die DurchschnittsverdienerIn mit 3.000 Rubeln im Monat, erst recht nicht für StudentInnen und Rentner. Die „Banja“-Teuerung führte kürzlich schon in einer nicht fernen Kleinstadt zu einer Filzlausepidemie.

Aber soweit brauchen es die Moskauer nicht kommen zu lassen — besteht doch ihre Stadt aus vielen Bezirken, deren Einwohner wechselweise zu Besuch und Reinigung ausschwärmen. So ist im Sommer die abendliche Metro voll von hoffnungsfreudigen Passagieren mit Kulturbeuteln. Deren Inhalt allerdings hängt von Reichtum und Großzügigkeit der Gastgeber und den Bedürfnissen der Gäste ab. Manch eineR nimmt bloß seinen Schwamm mit, andere führen gleich ihr ganzes Badezimmersortiment bei sich — vom Shampoo über Handtuch bis zur Bodylotion. Immer willkommen ist eine Flasche Wodka, denn die schmeckt auch kalt.

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