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Jessye Norman in der GlockeWenn die Sterne fallen

■ Die Preisträgerin des diesjährigen Musikfestes gab ihr einziges Deutschland-Konzert in diesem Jahr

Ein großes Lächeln kommt auf die Bühne. von den acht Schubert-Liedern des ersten Teils schienen die ersten vier zum Warmwerden. Der Höhepunkt vor der Pause war „Gretchen am Spinnrade“ und das darauffolgende „Der Tod und das Mädchen“. Hier ist passiert, was Gesang geschehen lassen kann – es hat mich von Kopf bis Fuß durchschauert. Und es waren die tiefen Töne, die so beführten – vielleicht ein besonderes Kompliment für eine Sopranistin. Die Wirkung dieser Lieder mag auch unterstützt worden sein durch die Geste der Sängerin, mit der sie dem Applaus zwischen den Liedern Einhalt gebot, was eine Intimität schuf und den großen Saal der Glocke um die Hälfte zu verkleinern schien.

Ich hätte nur eine Kritik: So einfach, schön und zwingend wie bei Jessye Norman der Sohn im „Erlkönig“ klang, so würde ich mir den Erlkönig selbst wünschen.

Die ersten Bravos gab es schon zur Pause. Danach kam Jessye Norman für vier Traditionals allein auf die Bühne – ohne ihren Pianisten Mark Markham, der ihr ein unaufwändiger und inspirierter Begleiter war und blieb. Zwischen beiden herrschte eine angenehme Atmosphäre der Vertrautheit, die schön anzusehen war.

Mit den vier Traditionals, die sie jetzt sang – am besten gefiel mir „There's a Man goin' round taking names“, weil ich Balladen nun mal gerne höre und weil sie so wunderschön leise singen kann –, zauberte sie, und so machte sie bis zum Ende des Konzerts weiter.

Auch in diesem zweiten Teil gab es wieder eine Geste: Ich sah die Sterne fallen durch ihr Senken ihrer rechten Hand. Nach drei Zugaben, mehr Bravos und stehenden Ovationen, sah man viele helle Gesichter, die unter Regenschirmen die Glocke verließen. Rainer Piwek

Der Autor ist Musiker und hält Kritiker für eine äußerst niedere Daseinsform. Für Jessye Norman hat er die Fronten gewechselt. Und seine erste Kritik verfasst.

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