: Wenn die Raketen auf Teheran niedergehen
■ Angst bestimmt das Leben in der iranischen Hauptstadt / Kein Schutz für die Bevölkerung / Keine offiziellen Nachrichten über die Einschlagstelle / Die Menschen flüchten aus der Stadt / Schon mehr als 100 Raketen erreichten Teheran
Aus Teheran Bibi Johns
Als am 29.Februar dieses Jahres die erste Rakete Teheran traf, glaubte kaum jemand, daß es sich tatsächlich um eine Rakete handelte. Mancher meinte, ein ungewöhnliches Geräusch gehört zu haben, anders als bei den üblichen Bomben. Doch niemand brachte es über die Lippen, jeder fürchtete, für hysterisch gehalten zu werden. Monatelang war Ruhe gewesen in Teheran. Die ersten offiziellen Nachrichten sprachen davon, daß Teheran wieder beschossen worden sei, kein Wort darüber, ob durch Bomben oder Raketen. Als vor zwei Jahren bei den ersten Bombardements das Gerücht umlief, daß Irak demnächst Raketen einsetzen würde, versetzte das die Teheraner in Angst und Schrecken. Bis heute sind schon über 100 Raketen auf die Stadt niedergegangen. Anfangs wußten die Leute nicht, wohin sie gehen sollten. Die wenigen Schutzräume entbehren meist jeder sanitären Einrichtung, sind höchstens für einen sehr kurzen Aufenthalt geeignet. Aber wann sollte man diese Räume aufsuchen? Wann kamen die Raketen? Panische Angst herrschte. Das Regime unternahm wochenlang nichts, um die Bevölkerung zu schützen. Schulkindern und Beamten wurde lediglich mitgeteilt, sie könnten für ein bis zwei Tage zu Hause bleiben. Einige gingen zur Arbeit, sie glaubten, überall in der gleichen Unsicherheit zu leben. Andere blieben im Haus und warteten den ganzen Tag auf die nächste Rakete. Wenn es knallt, hört man es in der ganzen Zehn–Millionenstadt. Aber wo war es? Gleich nach dem Knall greifen alle zum Telefon. Die Leitungen brechen unter der großen Belastung zusammen, es dauert lange Minuten, bis eine Leitung frei wird und weitere unerhörte Minuten, bis ein Anschluß hergestellt ist. Jeder ruft die Angehörigen an, erkundigt sich, erzählt. Denn offiziell wird nichts über die Einschlagstelle berichtet. Mitteilungen dazu gelten als militärisches Geheimnis. Der Ort eines Einschlags wird weiträumig abgesperrt, die Leute vom „Hilfskomitee des Imam“ sorgen dafür, daß es keine Menschenaufläufe gibt. Zu schnell könnten Unruhe und Proteste gegen das Regime entstehen. Dann werden Bagger eingesetzt, um den Schutt möglichst schnell zu beseitigen. Dabei kommt es vor, daß Verschüttete erst durch die Bagger getötet werden. Bei einem Raketeneinschlag gehen im Umkreis von 500 Metern die Fensterscheiben zu Bruch. Mehr als durch die Explosion selbst werden die meisten der Betroffenen durch die mit immenser Wucht umherfliegenden Glassplitter verletzt. Wie Speere bohren sich die Trümmer durch Körper hindurch. Augenzeugen behaupten, die Zahl der Opfer sei in Wirklichkeit zehnmal so hoch wie offiziell angegeben. Doch man hört kaum ein Wort des Hasses gegen die Iraker. Immer mehr Menschen schimpfen auf das eigene Regime, das alle Angebote aus Bagdad, den Städtekrieg einzustellen, ignoriert. Anfang März hatte der Irak bis zum 11.März ein Ultimatum gestellt. Der Raketenkrieg werde wieder aufgenommen, wenn Teheran nicht zu Verhandlungen bereit wäre. Die Mullahs rührten sich nicht. Am 11.März gingen acht Raketen auf Teheran nieder. Auf eine alles erfassende Panik folgte 20 Stunden gespanntes Abwarten. Würde Teheran militärisch antworten oder sich auf Gespräche einlassen? Nach dem Raketen–Regen an diesem Samstag hatten viele die Stadt verlassen und sich bei Kälte und Regen irgendwo, ohne Schutz, in den Vororten oder in der Wüste verkrochen. Am Sonntag nachmittag, als immer noch nichts geschehen war, kamen die meisten zurück. Voller Hoffnung, daß der Höhepunkt überschritten war, strömten sie über die Autobahn in die Stadt. Sogar Lieder hörte man, trotz des Sing–Verbotes in der Islamischen Republik. Dann begann in den Abendstunden der iranische Gegenangriff zu Lande. Noch in der Nacht kamen die Raketen. Nahezu täglich fielen Raketen auf die Stadt, machten Teheran über die Feiertage des iranischen Neujahrsfestes zwischen dem 21.und 26.März zu einer Totenstadt. Alle waren in die Berge oder an die Küsten des Kaspischen Meeres geflohen. Dort gaben sie ihr letztes Geld für überhöhte Preise aus, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Niemand weiß, wie lange die Stadt diesen Horror ertragen wird.
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