: Wenn die Phantasie Purzelbäume schlägt
■ Worpsweder Galerie „Altes Rathaus“hetzt künstlerische Positionen aufeinander / Mutige Experimente
Unsichtbare Fäden durchmessen den Raum. Sie lenken die Blicke und ziehen den Betrachter immer stärker in den Bann des Geschehens. Statt sinnend von einem Bild oder einer Skulptur zum nächsten Ausstellungsstück zu wandern, wird man einbezogen in ein Ideen-Gespinst. Diese Beeinflussung ist das erklärte Ziel eines neuen Ausstellungsprojektes in Worpswede. Denn in der Galerie „Altes Rathaus“des „Weltdorfes“wird jetzt auf Dialoge gesetzt. Unter dem Titel „DialogArt“prallen jeweils zwei künstlerische Positionen aufeinander. Das Ergebnis ist eine ästhetische Herausforderung für die BesucherIn.
Schon die erste Ausstellung der Reihe verfolgte konsequent dieses Prinzip. Friedhelm Welge, Fischerhude, und Paolo Conti, Bologna, waren die Antipoden, die getreu dem neuen Motto ihre Werke arrangierten.
Die Gemeinde Worpswede hatte mit dieser Doppeleinladung ein ganz nüchternes Ziel: Das angeknackste Image der Galerie – in KünstlerInnenkreisen wurde Profillosigkeit bemängelt – soll wieder aufpoliert werden. In der Vergangenheit folgte die Wahl der Ausstellungen dem Angebot der örtlichen Künstlervereinigungen. Kunst außerhalb des Worpsweder Dunstkreises hatte geringe Chancen. „Das hat nicht unbedingt zum guten Ruf beigetragen“, resümiert Christine Beckmann, die Kulturbeauftragte der Gemeinde. Im Oktober 1995 rief sie einen Arbeitskreis ins Leben, um den Dornröschenschlaf der kommunalen Galerie zu beenden.
Rund 30 KünstlerInnen aus der Region suchten nach dem „roten Faden“für die Galerie. In monatlichen Abständen rauchten die KünstlerInnen-Köpfe, den Grundstein für das heutige Konzept legte schließlich der Bremer Peter-Jörg Splettstößer: Ihm schwebte vor, daß verschiedene künstlerische Positionen miteinander in einen Dialog treten sollen. Das ganze sollte von einer Person koordiniert werden.
Aus diesem Gedanken erarbeiteten die KünstlerInnen insgesamt 15 Projetkideen, in denen Kunst aus der Umgebung kombiniert wird mit Kunst, die zum Teil aus weit entfernten Ländern stammt. Der rote Faden „Dialog“wird sich nun zwei Jahre lang durch die verschiedenen Ausstellungen ziehen, mit Künstlern aus Italien, Frankreich oder Japan.
Den Anfang machten Friedhelm Welge und Paolo Conti, zwei Künstler, die sich 1992 in München kennenlernten. Zwei Gegensätze traten in dieser Ausstellung gegeneinander an. In mathematischer Strenge komponierter Eisen-Schrott contra bildhauerischen Expressionismus. Hier naturwissenschaftliche Klarheit, da Puzzlespiele, deren Gesamtbilder erst beim genauen Betrachten klar werden. „Two in one“in der Kunst: Die Phantasie beginnt Purzelbäume zu schlagen.
Mit diesem Dialog-Prinzip sollen „etablierte künstlerische Positionen mit noch unbekannten Positionen konfrontiert werden“, so Beckmann. Sie will damit auch eine Auseinandersetzung mit Unbekanntem und Fremdem in Gang setzen.
In den kommenden zwei Jahren entstehen Ausstellungen, in denen Malerei und Fotografie, kombiniert mit gegenständlichen Objekten als Dialog zwischen zwei Künstler-Paaren installiert werden.
Die auf sehr lange Zeiträume angelegten und abstrakten Werke des Künstlers Waldemar Grazewicz aus Osterholz-Scharmbeck ergänzen die Werke von Ludwik Ogorzelec aus Paris zum Thema „Natur – Kultur“. Und wiederum eine andere Ausstellung bringt japanische Kunst in Verbindung mit dem regionalen Schaffen. Das bindende Glied der nächsten Ausstellung Ende Mai ist Draht. Zwei Worpsweder Künstlerinnen und Kring ten Noever de Brauw kombinieren Schmuck und Skulpturen aus Draht.
Christine Beckmann leistet bei den Ausstellungen nur noch organisatorische und finanzielle Hilfe im Hintergrund. Zwischen zwei und sechs KünstlerInnen bereiten die Ausstellungen in Eigenregie vor, gestalten Ausstellungsprospekt und Rahmenprogramm in Form von Führungen, Vorträgen, Performances oder Lesungen. Das Kulturamt, respektive die Kulturbeauftragte, hat dafür keine Zeit – Worpswede stellt nur eine Halbtagsstelle für die Kulturarbeit zur Verfügung.
Reich werden die KünstlerInnen dabei nicht. Für Friedhelm Welge war die Ausstellung eher Öffentlichkeitsarbeit und eine Quelle philosophischer Auseinandersetzungen mit seinem bologneser Künstlerkollegen. Das Ergebnis allerdings konnte sich sehen lassen und weckt die Neugier auf die Fortsetzung der Reihe.
ach
Der zweite Teil der „DialogArt“ab Ende Mai in der Galerie „Altes Rathaus“, Worpswede
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen