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Wenn die Mikrowelle das Mittagessen verheizt...

...liegt das meist an ihrer komplizierten Konstruktion/ Hersteller basteln jetzt an Geräten, die auch ohne Bedienungshandbuch zu verstehen sind  ■ Von Christine Berger

Die Welt des modernen Menschen kann manchmal verdammt kompliziert sein: Statt des Weckers piept morgens der digitale Toaster, die automatische Kaffeemaschine sorgt ohne ausdrücklichen Befehl mitten in der Nacht für heiße Getränke und die Mikrowelle heizt aus unerfindlichen Gründen das Mittagessen zugrunde. Klar wie die Flüssigkristallanzeige auf dem Übeltäter — die Ausgeburt moderner Technik war falsch programmiert.

Aber warum? Der verzweifelte Griff nach der Bedienungsanleitung ist quasi programmiert, wenn es darum geht, das ungezogene Gerät wieder zur Raison zu rufen. Doch statt der erwarteten praktischen Soforthilfe findet sich in den seitenreichen Wälzern in der Regel nur eine Wissenschaft für sich, die den Hilfesuchenden die Abgründe ihres technischen Nichtwissens brutal vor Augen hält. Früher, so erinnern sich Besitzer von unergründlichen Displayradios, kodierten Videorecordern und Multifunktionstelefonen wehmütig, früher gab es an jedem Gerät bloß ein paar Knöpfe, der Apparat war im Nu in Betrieb und tat was man wollte.

Heute ist es genau umgekehrt. Wer nicht aufpaßt, erlebt den Alleingang seiner HiFi-Stereoanlage hin zum stoischen Schweigen und geheinmisvollen Blinken diverser Leuchtanzeigen.

Schuld ist der Mikrochip. Seit der Revolution elektronischer Geräte durch dieses schlaue kleine Ungetüm verfügen Staubsauger, Radios oder Mikrowellen über ungeahnte Fähigkeiten und damit ein ausgeprägtes Eigenleben. Mußte früher jede Zusatzfunktion eines Geräts teuer bezahlt werden, ist es beim Mikrochip finanziell völlig unwesentlich, ob auf ihm nun zwei oder fünfzig verschiedene Handlungsbefehle gespeichert werden. Der Effekt: Die Hersteller begannen ihre Geräte mit technischem Können zu überhäufen. Ein Autoradio durfte ab sofort nicht mehr nur Frequenzen übertragen, es mußte zumindest programmierbar sein und selbstverständlich automatisch den Verkehrsfunk suchen können.

Kopierer, die bislang mit dem Ablichten einzelner Seiten beauftragt waren, sind plötzlich in der Lage, Originale beidseitig verkleinert und in Farbe zu doubeln. Alles sehr praktisch, vorausgesetzt, der Benutzer hat die Bedienungsanleitung im Kopf. Vor lauter Begeisterung über die Leistungsfähigkeit der elektronischen Geräte haben die Hersteller allerorten versäumt, über die Bedienungsfreundlichkeit ihrer Toaster und Taschenrechner nachzudenken. „Kein Mensch liest sich erstmal ein Buch durch damit er seinen Videorekorder bedienen kann“, weiß die Verkäuferin eines Berliner HiFi-Ladens aus Erfahrung. Statt dessen benutzen die stolzen Besitzer das Gerät entweder nur in seiner einfachsten Form als Abspielgerät geliehener Videokassetten oder bringen das unverständliche Ungeheuer gleich wieder in den Laden zurück. „Viele Kunden denken, ihr Gerät sei deffekt, weil es nicht das tut, was es soll“, berichtet auch der Inhaber eines Hamburger Elektroladens. Er klagt über die Unleserlichkeit der Bedienungsanleitungen, „bei denen die meisten Kunden nur noch Bahnhof verstehen.“ Vor allem das Programmieren technischer Geräte auf einen zeitabhängigen Betrieb bereitet selbst Technikfreaks oft größte Schwierigkeiten.

Konsequenzen aus dem Dilemma ziehen die überforderten Kunden allemal. War der amerikanische Hersteller Xerox zu Beginn der achziger Jahre noch Marktführer beim Verkauf von Kopierern, liefen dem Elektrokonzern wenig später die Kunden davon, weil die neue Gerätegeneration schlichtweg zu komplex und damit benutzerunfreundlich geworden war. Xerox brauchte zwei Jahre, um mit Hilfe von Soziologen, Technikern und Verkaufspersonal, die mit den Problemen der Benutzer tagtäglich konfrontiert wurden, eine simple Benutzeroberfläche zu entwickeln, die anhand von Piktogrammen das Kopieren wieder leichter machen soll. Auch Firmen wie Philips oder Sony haben das Problem der viel zu komplizierten Technikträger erkannt und setzen seit neustem auf simple Handgriffe. Mit der sogenannten „easy line“ will Philips der Nachfrage nach „leichter“ Technik entgegenkommen. Radios, Videorekorder, Wecker und Kassettenrekorder aus holländischer Produktion sollen zukünfig auch ohne Studium der Elektrotechnik wieder zu bedienen sein. Sony hat vor allem bei der komplizierten Tastatur seinen Fernbedienungen abgespeckt. Ganze neun Bedienungsknöpfe garantieren nun den sorglosen Fernsehabend, der bislang durch das verzweifelte Channel-Switching mit über fünfzig Tasten regelmäßig gefährdet war.

Knackpunkt in der Betriebsphilosophie so mancher Elektrofirmen ist vor allem die verlockende Großzügigkeit des Mikrochips. Galten bislang diejenigen Geräte als Spitze die über die variantenreichste Leistungsfähigkeit verfügten, müssen sich Ingenieure heute immer öfter die Frage nach der Notwendigkeit bestimmter Gerätefunktionen gefallen lassen. Wer programmiert zum Beispiel seinen Videorekorder drei Wochen im voraus? Und wer verlangt schon von seiner Mikrowelle, daß sie sich jeden Tag um die gleiche Zeit in Bewegung setzt? Gerade die überflüssigen Funktionen elektronischer Geräte machen aber ihre Bedienung kompliziert. Und diese Weisheit sickert langsam auch in die Chefetagen der Elektroindustrie.

Nicht zuletzt haben sich auch Computerhersteller Gedanken über die Bedienungsfreundlichkeit ihrer Geräte Gedanken gemacht. Wie in keiner anderen Branche wählen hier die Kunden Soft- und Hardware nach dem Prinzip „Simpel und schnell zu bedienen“ aus. Was Apple Macintosh mit seiner übersichtlichen Benutzeroberfläche aus Piktogrammen begonnen hat, hat sich auch die Konkurrenz zu Herzen genommen: Der Kunde ist König und nicht das Gerät.

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