kritisch gesehen: Wenn die Heide wieder blutet
Kathrin Hankes und Claudia Krögers Serienkiller arbeitet im Krimi „Blutheide“ am Gesamtkunstwerk
Er will ein Gesamtkunstwerk schaffen, wie die Welt noch keins gesehen hat. Eins, das seine Intelligenz und seine moralische Überlegenheit illustriert. Anlage und Abfolge der Taten gehorchen einer akribischen Choreographie, und jede Leiche ist ein Mosaiksteinchen, bis zum „großen Finale“.
Dabei wirken Opfer und Mordmethoden des Serientäters im Lüneburg-Krimi „Blutheide“ von Kathrin Hanke und Claudia Kröger auf den ersten Blick und für sehr lange Zeit vollkommen disparat und willkürlich: Ein Mann wird scheinbar überfahren, eine Frau erdrosselt und mit Alkohol übergossen, ein kleines Mädchen entführt und … nun ja, das weiß man noch nicht. Und jedes Mal hat der Täter einen Zettel mit Gedichtzeilen hinterlassen, handgeschrieben vom Opfer. Das ist mal ein Text von Erich Fried, das die Kommissare bitteschön zusammenstückeln sollen, mal sind es eigene Zeilen, immer geht es um Strafe und Sühne. Dabei haben die Opfer – außer etwa Alkoholismus und Ehebruch – nichts Erkennbares verbrochen. Manchmal kennt er sie, manchmal nicht, und er weidet sich an ihrer Gutgläubigkeit und Manipulierbarkeit.
Man ahnt schon: Dieser Mörder, in dessen Seelenleben man aus seiner Sicht verfassten Kapiteln – und das ist etwa jedes vierte – tief hineinlugt, ist das klassische „verkannte Genie“, das endlich das perfekte Verbrechen schaffen will. Und sich – und das ist das eigentlich Psychopathische daran – in immer kürzerer Folge und höherer Dosis dieses Fieber verschaffen will, das ihn nach vollbrachter Tat ergreift. Bis ihm diese gierige Rastlosigkeit, zum Verhängnis wird, vergehen etliche Morde.
Soweit, so grausam und auch ambivalent, denn die im „künstlerischen Rausch“ verfassten inneren Monologe gehören zu den besten Passagen des Buchs. Sie ziehen einen hinein in seine „Logik“, lassen einen sekundenweise ehrfürchtig werden angesichts der geplanten großen Tat.
Wobei auch das ermittelnde Kommissariat nicht arm an Wirrnissen ist: Nicht nur, dass der eineiige, einst in illegale Geschäfte verwickelte Zwillingsbruder des Kommissars nach Jahren wieder in Lüneburg auftaucht. Er wird quasi aus Versehen zum One-Night-Stand der neuen Kommissarin aus München, einen Tag vor Dienstantritt.
Das Zwillingsmotiv hat zwar Gorges Simenon im Maigret-Krimi „Pieter der Lette“ schon gespielt, und auch wesentlich raffinierter. Aber in „Blutheide“ kommt es eher als entspannendes Slapstick-Element daher, zwischen all dem Grauen und der Verzweiflung der Kommissare angesichts des unberechenbaren Täters.
Katrin Hanke und Claudia Kröger, Blutheide. Gmeiner Verlag, 320 S., 15 Euro, als e-Book 9,99 Euro
Das „Konzept“ hinter den Morden ist ein Mix aus Machtgier, Besserwisserei und dem Wunsch gesehen zu werden. Das geht eben nur im Superlativ – gerade in Zeiten millionenfacher Postings in Endlosschleife auf Social Media. Die nutzt der Täter im Roman allerdings nicht: Er hat ein Foto-Album als Dokumentation seiner Taten fertig gemacht, als Geschenk für die Kommissarin. Die wird seine Leistung würdigen können.
Petra Schellen
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