: Wenn die Geige zum Besen wird
■ Ein Hauch von Jazz beim Bremer Musikfest: Das „Turtle Island String Quartet“ spannte den Bogen zwischen Bach und Hendrix und verwandelte Geigen in Banjos und Bässe/ Konzert im Schlachthof
Ein paar jazzige Paradiesvögel gibt immer im Programm des Bremer Musikfestes. Im letzten Jahr wurde das Art Ensemble of Chicago zusammen mit einem Sinfonieorchester in ein Bremerhavener Schwimmbad gestopft und diesmal war das „Turtle Island String Quartet“ dazu auserkoren, im Schlachthof Klassik und Jazz miteinander zu versöhnen. Einigen Puristen fehlte am Samstagabend allerdings das rechte Verständnis dafür – so tadelte ein gestrenger Liebhaber des schönen Geigenklangs die „ewige Schaberei“ der vier Steicher. Dabei bemühten diese sich nur mit allen Kräften, eine eigene und möglichst originelle Tonbildung auf Violinen, Bratsche und Cello zu finden, und dies ist nun mal – wie man in jedem Lehrbuch über Jazz nachlesen kann – eines der Grundelemente dieser Musik.
So schlugen sie des öfteren mit den Fingern auf die Klangkörper ihrer Instrumente um für ein paar Takte wie Perkussionisten zu klingen, da kratzten und zupften sie an den Saiten und waren sich auch nicht zu schade für einige Showeffekte (etwa die Tschutschu- Bimmelbahn zum Beginn und Ende einer Ballade). Und es gelang ihnen tatsächlich einen sehr jazzigen Sound aus den alterwürdigen Instrumenten zu zaubern: Danny Seidenbergs ließ seine Bratsche wie eine Rhythmusgitarre klingen, Mark Summers zupfte sein Cello wie einen Kontrabaß, Tracy Silvermann verwandelte seine Violine in ein Banjo und Darol Anger konnte mit dem Bogen so über das Holz seiner Geige streichen, daß es sich genau wie ein mit den Besen gespieltes Schlagzeug anhörte.
Vor allen Dingen aber improvisierten die vier Musiker. Man merkte, daß sie bei jedem Stück aufmerksam aufeinander hörten, und es zusammen neu entwickelten. Ihre Spielfreude und Abenteuerlust steckte das Publikum an und so herrschte im Schlachthof bald eine ausgelassene, sehr angenehme Konzertatmosphäre.
Eine Jazzband läßt sich nicht durch einen Programmzettel bändigen, also spielte das Quartett zum Teil ganz andere Stücke als in dem so ordentlich gedruckten Prospekt angegeben. Je eine Komposition von Miles Davis, Dizzy Gillespie und dem Brasilianer Airto reichten dem Quartet wohl aus diesem recht akademischen Querschnitt durch die Jazztradition. Mit einer ironischen Hommage an Bach, einem Arrangement, das eigentlich für den Soulbläsersatz von „Tower of Power“ geschrieben wurde, einigen Eigenkompositionen sowie Songs von Thelonious Monk und Chick Corea war ihr Programm so viel spannender und amüsanter als erwartet. Nur den Song von Jimmy Hendrix hätten sie sich ruhig verkneifen können. Denn die Musik dieses Rock-Avantgardisten der 70er hat bekanntlich schon das Kronos Quartett als Material für Streicher entdeckt; und Nigel Kennedy, als Enfant Terrible der Cross-overmusik gerühmt, hat die hübsche Idee bereits schon wieder totgeritten.
Die Suite für Jazz-Streichorchester „Spider Dreams“ von dem ehemaligen Bandmitglied David Balakrishnan entpuppte sich dann als der eher entäuschende Pflichtteil des Abends. Zusammen mit zehn Studenten ihrer Workshops von der internationalen Herbstakademie spielte das Quartett plötzlich viel konventioneller. Das Orchesterwerk ließ nur wenig Platz für Soli und in diesen ließen sich die Musiker nie so frei wie im ersten Teil des Konzertes. Sie schienen immer mit einem Ohr darauf zu achten, daß ihre Schüler alles richtig machten, so daß sich manchmal der fatale Eindruck einer Abschlußprüfung einschlich. Und die Komposition war dann auch nicht so brilliant, daß sie für dieses Manko entschädigt hätte. Viel mehr als ein gefälliger Cocktail aus verschiedenen Musikstilen zwischen klassischer Musik, Jazz und neuerer „Weltmusik“ war da nicht zu hören. Nett und bunt, aber oft auch knapp am Klischee vorbei. Willy Taub
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