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■ Wenn die Bonner Parteien über Hochschulpolitik beraten, wird stets vergessen, um was es geht: LernenTaubstummenschule & Pseudopolitik

Das Thema Bildung erweist sich immer wieder als aufschlußreiches Selbstgespräch der Gesellschaft. Ob sie es will oder nicht, hier spricht sie ihre Geheimgrammatik aus, bei diesem Thema muß sie sagen, was sie in Zukunft will, und zuweilen wird offensichtlich, wer trotz aller Zukunftsbeschwörung nichts zu sagen hat. Zum Beispiel der CSU-Parteitag vor wenigen Tagen in München, Motto: „Richtung Zukunft“. Eine kleine Inszenierung stellt die Sache klar. Minister Waigel will im Internet-Café der Bayernhalle den Dialog mit der Jugend und seine Zukunftsfähigkeit demonstrieren. Damit nichts schief geht, hat man für den Minister auf die Entertaste einen großen schwarzen Punkt geklebt. Als Waigel gefragt wird, was eine Homepage sei, wird er ruppig.

Zwei Tage später, der SPD-Parteitag in Köln, ganz auf Jugend und Zukunft gestylt: „Mit der Zukunft einen Vertrag schließen – neue Chancen für die Jugend“. Wie schließt man denn mit der Zukunft einen Vertrag? Den Generationenvertrag mit den Zukünftigen einzuhalten, das wäre ja schon was. Wenn tatsächlich in diesem Jahr den deutschen Hochschulen mehr als zwei Milliarden Mark gestrichen wurden, dann ging in den Ländern die SPD immer voran. Man kann sich drauf verlassen, je bedenkenloser der Generationenvertrag gebrochen wird, desto hemmungsloser schwelgen die ratlosen Alten in Zukunftsmetaphorik.

Heute kommt in Bonn die Unionsfraktion sogar zu einer Sondersitzung zusammen. Jürgen Rüttgers, der sich gern Zukunftsminister nennt, hat sich ein neues Hochschulrahmengesetz vorgenommen. So weit die Inszenierung der Geschäftigkeit. Aber was soll drinstehen, und wie soll die Sache finanziert werden? Über Studiengebühren sind CDU und CSU quer durch ihre Reihen zerstritten, und auch in anderen Fragen herrscht Unklarheit – und das auf denkbar niedrigem Niveau. „Wer eine Fünf in Mathematik hat, muß vom Mathematikstudium ausgeschlossen werden können“, sagt der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU, Christian Lenzer. Das hört sich plausibel an, ist aber nicht der Rede wert. Wie viele Aspiranten auf ein Mathestudium mit einer Fünf im Abitur wird es wohl geben? Und wenn, vielleicht haben sie gute Gründe. „Manchmal ist der Fehler der Anfang einer neuen Mathematik“, sagte Wittgenstein. Das Studium ist für den CDU- Sprecher nichts als eine effektive Ausbildungsmaschine. Es sei eine „Schnapsidee“, meint er, wenn in der Oberstufe ein Teil der geforderten Deutschstunden durch Theaterkurse ersetzt würde. „Deutsch ist Deutsch.“ Keiner von diesen Pseudopolitikern kann sich vorstellen, daß Neues eher auf Umwegen entsteht. So fällt der lernbehinderten Fraktion nur ein, das Studium „straffer zu organisieren“. Aber seit 1977 sind die Studentenzahlen um 80 Prozent, die Mittel um zehn Prozent und die Stellen nur um sechs Prozent gestiegen. Im Haushalt 1997 muß Bildungsminister Rüttgers mehr sparen als Verteidigungsminister Rühe, und das ist ja nur ein Teil des Aderlasses. Den größten Teil der Einsparungen besorgen die Länder. Sie buchen aus den Hochschuletats einen Wert aus, „der entspricht in diesem Jahr der Schließung mehrerer Universitäten“, hat Hans Uwe Erichsen, der Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz, ausgerechnet.

Aber darüber wird man heute in Bonn nicht reden. Und um etwas vorzuweisen, wird den Hochschulen mehr Autonomie gegeben, Hochschullehrer sollen nach Leistung bezahlt werden, und vor den Unis wird man eine neue Schleuse installieren: 20 Prozent der Plätze sollen die Hochschulen an Bewerber vergeben, die sie selbst auswählen. So sollen sich Leistungsprofile bilden. Wirklich? Profile wären gut. Tatsächlich aber werden Bürokratie und herrschender Uni-Bluff wieder um ein Kapitel erweitert: So tun, als ob man Profile bildet. Dann bleibt noch weniger Zeit für die Lehre und zum Studieren. Bald wird man an deutschen Hochschulen kaum noch wissen, was Studieren wirklich ist. Studieren ist nämlich etwas anderes als die zur Regel werdende Bulimie, sich Wissen, Wissen und noch mehr Wissen reinzuziehen und es dann wieder auszukotzen.

Das ist ja der Skandal: Wo heute Akademien gebraucht werden, in denen die Zukunft erfunden wird, werden die Unis zu Fabrikationshallen von Einheitswissen, die Ermüdung und Entgeisterung betreiben. Sie werden zu Wartehallen einer Generation, die glaubt, sich in einer Art vorauseilender Selbstneutralisierung, also durch Profillosigkeit, späterer Verwertung zu empfehlen.

Das ist der doppelte Irrtum in den Hochschulen: nicht nur, daß Anpassung noch nie zu Leistungen inspirieren konnte. Anpasser sind heute nicht mal mehr auf dem Arbeitsmarkt die gefragten Leute.

„Flachhochschulen“ nannte die scheidende Rektorin der Stuttgarter Universität kürzlich die deutsche Alma mater. Der polyglotte norwegische Kulturwissenschaftler Johann Galtung, der an Universitäten in fast 50 Ländern gelehrt hat, nennt sie Taubstummenschulen. Und der deutsche Starsoziologe Ulrich Beck schrieb kürzlich: „Es geht um die Abschaffung der Universitäten oder um ihre Neubegründung.“ Wenn wir zum Rand der bildungspolitischen Szene blicken, dann tut sich dort sogar einiges: Exmanager Daniel Goeudevert bereitet in einer ehemaligen Kaserne in Dortmund mit dem linken Professor Andreas Gruschka eine Campus-Uni vor. Anfang November traf sich eine Gruppe namhafter Uni-Frauen in Bremen, die eine internationale, mehrsprachige Frauen-Uni gründen wollen. Ein Schwerpunkt soll eine etwas andere Naturwissenschaft werden. Und vor ein paar Tagen wurde Peter Glotz zum Gründungsrektor einer geisteswissenschaftlichen Uni nach Erfurt berufen, die sich nicht scheut, eine Elite-Uni werden zu wollen.

Man mag von diesen Initiativen halten, was man will, aber sie zeigen einen interessanten Trend. Unis, die wieder erregen wollen, brauchen Profile. Profile, zu denen man ja oder nein sagen kann. Und während die Hochschulen wie ein Geisterschiff vor sich hindümpeln und von StudentInnen nur wenn unbedingt nötig aufgesucht werden, machen es immer mehr Studis so wie die Müncher Philosophiestudentin Stefanie Graul: „Ich arbeite ja bereits als Fotografin. Fast alle Studenten hier machen nebenbei noch was anderes. Aber ich bin mir sicher, daß ich irgendwann mein Geld auch mit der Philosophie verdienen werde, und sei es nur indirekt. Ich bin dann eben eine Fotosophin.“

Reinhard Kahl

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