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Wenn der Bürgermeister selber Geld macht

■ Warum in der Kasse von Neckarwestheim plötzlich 40 Millionen Mark fehlen

Berlin (taz) – Neckarwestheim ist eine saubere Gemeinde im Kreis Heilbronn. 3.000 Einwohner zählt der Ort, der sich glücklich schätzt, das neueste AKW der Nation zu haben. Die Gewerbesteuereinnahmen belaufen sich in guten Jahren auf 15 bis 20 Millionen Mark, Neckarwestheim zählt zu den wohlhabendsten Bezirken Baden-Württembergs, und ein neues Sportzentrum ist auch schon im Bau. Nur selten demonstrieren wenig Einheimische gegen den Abtransport von radioaktiven Brennstäben: Ganze 30 Menschen haben sich kürzlich zu einer Sitzblockade vor dem Gelände eingefunden.

Jetzt hat man die braven Neckarwestheimer um 40 Millionen Mark geprellt. Ihr eigener Bürgermeister, Horst Armbrust, mit 34jähriger Amtszeit der dienstälteste Gemeindechef im ganzen Land, steht im Verdacht, ein Jahr vor seiner Pensionierung das ganze Geld ins Ausland geschafft zu haben. Armbrust (62), der sich ohne Absprache mit Gemeinderat und Kämmerer als internationaler Finanzjongleur betätigt hat, erklärte vor der Staatsanwaltschaft in Stuttgart, daß der größte Teil des Geldes, 25 Millionen Mark, auf der winzigen Pazifik-Insel Nauru bei Papua-Neuguinea deponiert sei. „In diesen kleinen Steuerparadiesen kann jeder mit einem windigen Briefkopf irgendeine dubiose Bank eröffnen“, weiß Heiner Weitner vom Landratsamt in Heilbronn. Ungewiß ist derzeit, wie das Geld von Genf nach Nauru gelangt ist und ob es überhaupt wieder zurückgeholt werden kann.

Nach eigenen Angaben hat Armbrust im November 1993 im Beisein eines Anlageberaters und eines bisher nicht identifizierten Notars Schecks im Wert von 25 Millionen Mark bei einer Genfer Bank eingezahlt. Inzwischen hat sich jedoch herausgestellt, daß Armbrust selbst nach Genf gefahren ist, um Mittelsmännern die Schecks zu überreichen. „Dieser seltsame Notar hat ihn mit einer Verzinsung von 12 Prozent gelockt“, erklärt Heiner Weitner. Unklar ist bisher, ob der Bürgermeister von dem Anlageberater hereingelegt wurde, gegen den in Koblenz in über 400 Betrugsfällen ermittelt wird.

Gegenüber der Rechtsaufsicht erklärte Armbrust den von ihm inszenierten Finanzkrimi mit den schlichten Worten, er habe lediglich eine möglichst hohe Rendite für die Gelder aus dem Gemeindevermögen erzielen wollen. Schon 1991 hat der Freidemokrat Horst Armbrust, der auch im Heilbronner Kreisrat sitzt, vorschriftswidrig kommunale Geldanlagen über eine Million Mark in englischen Pfund aufgelöst. „Wer Gemeindegelder spekulativ anlegt, erfüllt in jedem Fall den Tatbestand der Untreue“, meint die Staatsanwaltschaft in Stuttgart. Zugunsten des Bürgermeisters spricht, daß er den Gemeinderat am Dienstag selbst über das Verschwinden des Geldes informiert hat. Horst Armbrust befindet sich zur Zeit in Untersuchungshaft. Simone Miller

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