: Wenn aus Panzern Skelette werden
■ betr.: "Die Faszination des Fundamentalismus", Essay von Werner Schiffauer, taz vom 20.1.92
betr.: „Die Faszination des Fundamentalismus“, Essay von Werner Schiffauer, taz vom 20.1.92
Gewalt, Masse, Planung im gewaltigen Stil „fasziniert“ stets die von der Realität verschonten Intellektuellen.
Was ist schon befreiend am Fundamentalismus? Er befreit wie jede Ideologie der Moderne den Menschen von sich selbst in die bloße Funktion. So wenig wie der Nationalsozialismus national, politisch war, so wenig ist Fundamentalismus sittlich, religiös. Was die moderne Ideologie mit der traditionellen Beschränktheit gemein hat, ist nicht ein Inhalt: Zu einem Inhalt kann sich der/ die Einzelne in Bekenntnis oder Ächtung als Subjekt verhalten. So war das Verhältnis zwischen traditionellem Wertsystem und Individuum subjekt-definiert. Zur an die Macht gekommenen Ideologie verhalte ich mich stets als Funktion, gleichgültig ob ich zur auserwählten Bestie oder zur zu vernichtenden, störenden Materie gehöre.
Keinem jüdischen Offizier half sein national-preußisches Bekenntnis gegen die Selektion aus der Gesellschaft in den Tod. Kein dem Koran treuer Lebenswandel hilft einem selbst denkenden, selbst handelnden Liberalen, Konservativen, Sozialdemokraten, Nationalisten, Sozialisten vor der Ächtung durch die Vernichtungsapparatur des Fundamentalismus. Man beachte die Machtlosigkeit der konservativen, wertebezogenen Armeen im Dritten Reich, in der Sowjetunion, im Iran.
Nachdem die Ideologien NS und Stalinismus geschlagen sind, suchen die Eliten in der Dritten Welt nach eigenen Konzepten zur Organisierung, Zuende-Planung ihrer Einflußsphäre. Es gibt inzwischen eine Unzahl von puristischen „dritten Wegen“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Gemein mit westlichen und östlichen Macht-Projektionen ist ihnen die Vernichtung des Individuums, Politik als Massenbewegung. Bürokratie und Gemeinschaftsrausch sind gleichermaßen durch selbständiges Wollen gefährdet. Auch Zustimmung zur Ideologie darf nicht von Herzen kommen, denn Herz ist Wille, Subjekt — nicht berechenbar, Störfaktor. „Heil“ ruft nicht das Ich, sondern das, was als Rest vom Menschen nach der Selbstaufgabe bleibt.
Das die Ideologie mißachtende Subjekt wird nicht wegen der Mißachtung vernichtet, sondern weil es Subjekt ist. Ein ideologischer NS- Mann kann „umerzogen“ werden. Ein freier, nicht einmal politisierter Bürger ist nicht belehrbar — also im Wege. Was stört, ist zu „liquidieren“.
Es gibt keinen Grund, in irgendeinem Fundamentalismus etwas Menschliches zu sehen: ob NS, ob Stalinismus, ob Jesus-Fundamentalismus, Pan-Slavismus, -trakismus, -Islamismus, -Zionismus, ob Indio- Faschismus im Sendero Luminoso oder sichtbar werdender Afrorassismus (Ruanda/Zulu-ANC): Keine dieser Ideologien ist dem zentralen Punkt Mensch verpflichtet, alle sind es ihrem Planungsbegriff Menschheit gegenüber. Sie alle sind bestrebt, den Wert des Menschen (Würde=Selbstbestimmung) zuerst zu relativieren im eigenen Einflußbereich, dann auszulöschen auch in der Welt. An die Selbstbestimmung frei geborener Individuen setzen sie sich die von der Bürokratie äußerlich zu formende, vom TV innerlich leer zu haltende Fleischmasse Mensch. Selbstverständlich auch unter Verzicht auf eigene Individualität. Sie sind — wie Hannah Arendt für die totalitären Ideologien NS und Stalinismus erkannte — Erscheinungsformen eines wegen fehlender Außenmacht nach innen gewendeten Imperialismus.
Faszination in der Politik ist intellektuell gewendeter Scholl-Latour. Bereits Heidegger empfing von Hitler nichts als das „Faszinosum“. Nicht politisch beteiligte, von der politischen Realität entfernte Intellektuelle sind stets von der „Lebendigkeit“ und „Kultur“ begeistert, die die Gewaltbereitschaft, die gewaltigen Menschen-Verplanungsmöglichkeiten, die schillernden, zur Image- Pflege herangezogenen Mythen der modernen Ideologien ausstrahlen. Man denke an das unsägliche Bild der internationalen Intellektualität, die sich vor Hitler oder Stalin verbeugte.
Ich denke, der Wert Mensch, das ist sie: die Würde des Menschen, gerettet vor dem KZ, ist das, was freie Bürger verteidigen sollten, auch wenn sie als Intellektuelle aus den Gefahren des täglichen Lebens herausgehoben sind. Klaus Wachowski, Alzey
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