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■ Bonn apartWenn Star-Tenöre winseln

Auch Politiker haben Vorbilder. Wie die drei Herren Hintze, Protzner, Westerwelle etwa, die drei Generalsekretäre ihrer Parteien. Die Erfolgs-Tournee der Star-Tenöre Pavarotti, Domingo und Carreras muß es ihnen angetan haben. Und so beschlossen sie ebenfalls, einen gemeinsamen Auftritt zu geben. Die Bonner Journalistenschaft ward als Publikum auserwählt.

Werfen wir einen ungefilterten Blick hinein in das Konzert: Schließen wir die Augen, lassen wir uns betören: Zuerst erhebt Maestro Hintze seine Stimme: „Die Bilanz ist ausgesprochen positiv“, jubiliert er, „wir lösen Beschäftigungsbremsen“, lockt er schmeichelnd, „wir sind handlungs-, reform- und durchsetzungsfähig“, donnert er zum Schlußakkord. Doch der Applaus bleibt aus. Um so deutlicher ist ein winseliges „Erbarmen“ zu hören.

Dann hebt Bayer Protzner mit gewichtiger Stimme an: „Allen Unkenrufen zum Trotz: Der Staat besteht noch. Diesen Weg werden wir unter allen Umständen fortsetzen.“ Hat mal eben jemand Ohropax dabei? Schließlich der stimmgewaltige Westerwelle: „Die SPD wartet im Wartesaal auf den Zug, der schon lange abgefahren ist.“ Wie bitte? – das Nickerchen war so schön – wer ist abgefahren?

Und dann ein Paukenschlag. Ein Zuschauer steht auf und flötet mit harmlosem Augenaufschlag: „Mir kommt es so vor, als ob ich alles schon mal gehört habe.“ Was denn neu sei bei diesem Wortgeklingel?

Heiterkeit im Auditorium. Ratlosigkeit auf der Bühne. Und Unerhörtes geschieht. Die drei auf der Bühne erleiden den Alptraum eines jeden Sangesmanns: Die Stimme versagt! Eine quälend lange Minute lang gucken sie sich ratlos an, ringen um Luft und schweigen, schweigen, oh wie göttlich süß, sie schweigen. Wie rein und unschuldig sie in ihrer unverhofften Lautlosigkeit wirken. Es ist ja ohnehin alles gesagt: Alles wird gut.

Hintze faßt sich als erster. Aus den Abgründen seiner Fassungslosigkeit gurgelt er hervor: „Die Öffentlichkeit soll über unseren Weg Bescheid wissen. Entweder wir lernen schwimmen, oder wir gehen unter.“ Wie aus einem schönen, kurzen Traum schrecken wir auf. Ist das wahr, hat es sich wirklich so zugetragen? Es ist wahr. Es kann der Welt nicht erspart bleiben. Die große Zeit der Tenöre ist offenbar vorbei. Markus Franz

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