: Wenn Sie mich liebhaben, freut er sich so
■ Über das Ende des Ichbegriffs und den übergreifenden Altruismus gewisser Heiratsanzeigen anhand eines wunderhübschen Beispiels
Niemand weiß um das Geheimnis des Gesetzes, nach dem die Heiratsagenturen ihre Inserate gestalten; es wäre aber besser, wir wüßten es, denn es dauert nicht mehr lang, und sie haben die Grenzen des abendländischen Ichbegriffs eingerissen. Lesen Sie: Yvonne ist häuslich, sparsam, lieb, aber auch ein wenig scheu. Viel lieber als in die Disco möchte ich mit Dir... Sie ist scheu, weil ich viel lieber mit dir möchte. So ist die Lage, so ist die Situation. Alle diese Anzeigen gehen auf diese Weise, vor allem die billigen: Karin hat schon ein schönes Sümmchen gespart. Das können wir beide jetzt... Wer spricht hier überhaupt um Himmels willen? Der Agent und Schacherer? Oder Yvonne oder Karin? Ich? Wir beide wechselweise? Oder nicht doch schon eine gottesunmittelbare Überpersonalität?
Milliarden von Heiratsanzeigen fangen damit an, daß der Agent und Schacherer sein Objekt anpreist, und plötzlich, auf halber Strecke, verwandelt sich der schleimige Höker in die süße kleine Maus und singt von seiner Sehnsucht, daß man nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht: Conny, 25 J., 164, Kinderkrankenschwester. Sie ist schlank, mit einer wunderbaren Figur und unendlich sanft. Einen wunderschönen Beruf hat sie, sie ist fleißig und gewissenhaft, schleimt der Höker, aber zum Feierabend wird sie ein wenig traurig. Ja, ich muß jetzt allein in meine kleine Wohnung zurücckehren usw.
So ist die Lage, so ist die Situation. Sie wird traurig, weil ich allein in meine kleine Wohnung zurückkehren muß. Wer spricht? Wir müssen festhalten, daß das Wunder der Persönlichkeit noch völlig unerforscht ist, ja wir neigen uns vor den Abgründen der Ichs, aber zu spät, zu spät, denn die kühnsten Inserate arbeiten schon vollends an seiner Entgrenzung: Wolfgang, 39 J., Bankier, 183 groß. Ein Mann dessen Rat man sucht, dessen ruhiges und ausgeglichenes Wesen Sympathie ausstrahlt. Wenn er abends durch das Büro geht, blickt er sich noch einmal um und ist stolz auf das, was er geschaffen hat. Ein paar nette Worte des Abschieds zum Pförtner. Ja, da stehe ich dann vor der Tür und bin einsam, niemand ist da der mich abholt. Durch einen tragischen Umstand ist das so. In ein verträumtes Lokal jetzt zu gehen, bei Kerzenschein zu sitzen und gemütlich essen, das wäre mein Wunsch. Aber nicht allein. Sie sollten ihm versprechen können treu und ehrlich zu sein, natürlich und aufgeschlossen, gern auch mit Kind. Wenn Sie auf mich zukommen kann ich Ihnen zeigen wie schön die Zukunft usw.
So stand es neulich im Weserreport geschrieben, und nun wollen wir freudig dieser Zukunft entgegenschreiten, ich, du, er, wir anderen und der Pförtner.
schak
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