: Wenn Panik das Leben bestimmt
■ Es begann mit Angstattacken bei Autobahnfahrten. Doch unzählige Therapien halfen Helmut Langhammer nicht weiter. Die Intensivtherapie der Dornier-Stiftung dagegen wirbt mit schnellem Erfolg
Auf der Autobahn passierte es zum erstenmal. Der Kopf drehte sich, das Herz raste, der Brustkorb war wie zugeschnürt. „Ich dachte, ich sterbe“, erinnert sich Helmut Langhammer an jene Autofahrt vor elf Jahren. Gemeinsam mit einer Freundin war er nach Bayern unterwegs. Er fuhr rechts ran, ließ seine Beifahrerin ans Steuer. Kurz darauf ging es ihm wieder gut. Doch ganz vergessen konnte Langhammer den Zwischenfall nicht. Er befürchtete eine Wiederholung.
Anfangs kamen die Anfälle nur beim Fahren auf der Autobahn. Langhammer wurde vor solchen Fahrten schlecht, er sagte sie ab. Später plante er sie einfach nicht mehr. Dann kamen Schwindel und Herzrasen in der U-Bahn, auf dem Sozialamt, im Supermarkt. Immer häufiger blieb der 49jährige zu Hause. Er ging zum Arzt, doch der fand nichts. „Ich bin mir vorgekommen wie ein Spinner“, sagt Langhammer, denn angeblich war er doch gesund. Doch irgendwann erkannte ein Notarzt die Symptome. Er stellte fest, daß Langhammer angstkrank ist.
Zwischen fünf und zehn Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung, weiß Ursula Schwenkhagen, leiden unter Angststörungen. Angst sei eigentlich gesund, sagt die Psychologin, doch sie mache krank, wenn sie so stark, häufig und lange auftritt, daß sie zu Vermeidungsverhalten und deutlichen Einschränkungen im alltäglichen Leben führt. Wie bei Langhammer, der irgendwann kaum noch seine schmucke Weddinger Wohnung verließ.
Ursula Schwenkhagen ist Therapeutin bei der Christoph-Dornier-Stiftung, einer Art Elitetruppe der deutschen Verhaltenstherapie. Seit Anfang des Jahres hat die Stiftung auch ein Institut in Berlin-Kreuzberg. Wer sich dorthin wendet, braucht Zeit, zwei Wochen mindestens. Solange dauert die Intensivtherapie. Das Konzept: Konfrontation. Für mindestens vierzehn Tage bilden Patient und Therapeutin ein Tandem. Gemeinsam begeben sie sich in die Situationen, die den Patienten in Panik versetzen.
Das Ziel: die Angst vor der Angst zu durchbrechen und den Teufelskreis aus Befürchtung und Vermeidung. „Irgendwann weiß der Körper nicht mehr“, erklärt Psychologin Schwenkhagen, „ob eine wirkliche Gefahr oder eine reine Erwartung vorliegt.“ Auch Langhammers Körper reagiert seit Jahren mit Alarmreaktionen, wenn dieser nur ans Autobahnfahren denkt: Herzrasen, Atemnot, Schwitzen. Durch die Konfrontation soll der Körper lernen, daß er sein Angstprogramm nicht mobilisieren muß.
„Die Praxis ist ganz einfach“, sagt Schwenkhagen, „das Schwierigste kommt zuerst.“ Wenn U-Bahn-Fahrten Angst auslösen, durchqueren Therapeutin und Patient mit der BVG die Stadt, stundenlang, wenn es sein muß. Kommt die Angst nicht – weil der Patient beispielsweise ans Angeln denkt und ihn das entspannt, dann provoziert Schwenkhagen sie. „Meinen Sie, daß Ihr Herz das aushält?“ fragt sie dann im überfüllten Bahnabteil. „Vielleicht bleibt Ihnen der Atem weg“, schiebt sie nach, wenn das nicht reicht. „Der Patient muß in der Situation an den Punkt kommen, wo die Angst wieder vergeht“, sagt sie und lächelt sanft.
Tagelang wird geübt, erst mit der Therapeutin, dann allein. „Nach acht bis zehn Tagen ist es meist deutlich besser“, sagt Schwenkhagen. Auch danach, wenn der Patient versucht, alleine zurechtzukommen, bleibt der Kontakt zur Therapeutin eine Zeitlang bestehen. 6.000 bis 10.000 Mark kostet eine Intensivtherapie bei der Dornier-Stiftung, die Krankenkassen übernehmen die Kosten nur im Einzelfall. In Berlin, so Schwenkhagen, sei das „sehr schwierig“. Dennoch kämen ganz unterschiedliche Leute – auch was die soziale Lage betrifft – in ihre Therapie. Die Stiftung wirbt mit einer Erfolgsquote von 80 Prozent.
Helmut Langhammer lockt das nicht. „Natürlich kenne ich das“, sagt er und lacht. Vorne fehlen ihm zwei Zähne, vor einem Zahnarztbesuch hat er zuviel Angst. „Ich glaube, ich habe alle Angstbücher gelesen.“ In acht Kliniken war er in den vergangenen sechs Jahren, vier ambulante Psychotherapien hat er abgebrochen. Irgendwas paßte ihm immer nicht. Mal war es der Hund des Psychologen, mal die Wartezeit, der dritte habe immer auf die Uhr geguckt. Vermeidung? Auch von der Konfrontationstherapie hält Langhammer nichts. „Bei mir liegt das tiefer“, sagt er, „da hilft mir doch ein bißchen Autofahren nicht.“ Daß Konfrontation nicht in allen Fällen das richtige ist, räumt auch Schwenkhagen ein. „Manchmal ist es sinnvoll, zuerst die Funktion der Angst zu bearbeiten“, sagt sie vorsichtig.
Was das sein könnte, weiß Langhammer nicht. „Ich habe eigentlich immer Angst gehabt“, sagt er und erzählt vom Kinderheim und vom Jugendwerkhof der DDR, von der Übersiedlung nach West-Berlin, von seinem Rausschmiß als Rechtsanwaltsgehilfe und dem Scheitern als Bratwurstverkäufer. Von seiner Angst, wirklich körperlich krank zu sein, und vom übermäßigen Alkoholgenuß – beides typische Begleiterscheinungen bei Angststörungen.
Wo die Ursache liegt, weiß Helmut Langhammer auch nach elf Jahren, acht Kliniken, vier Therapeuten nicht. Auch eine Selbsthilfegruppe hat er gegründet, doch die läuft schlecht. „Die Resonanz war groß, aber alle haben soviel mit sich selbst zu tun.“ Also hat Langhammer wieder einmal beschlossen, sich selbst zu helfen. Vor einigen Wochen war er erstmals seit Jahren wieder mit dem Fahrrad unterwegs. Doch ihm ist klar, daß er es ganz alleine nicht schaffen wird. Deshalb hat er noch einmal einen Klinikaufenthalt beantragt, und diesmal soll seine Frau mit. Sabine am Orde
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