Wenn Feinde zu zu Partnern werden: Gegner vergraben Kriegsbeil
Die schärfsten Kontrahenten um den geplanten Neubau am Spielbudenplatz betreten jetzt gemeinsam mit dem Bezirk partizipatorisches Neuland.
HAMBURG taz |Das Kriegsbeil begraben haben die Bayerische Hausbau und StadtteilaktivistInnen aus St. Pauli. Sie wollen bei der Planung des Esso-Häuser-Geländes nämlich nun gemeinsam mit dem Bezirksamt Mitte neue Wege der Bürgerbeteiligung ausprobieren. Der Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) spricht von einer „Riesenchance für St. Pauli“.
Neu ist vor allem, dass die BürgerInnen noch nie so frühzeitig in den Planungsprozess einbezogen wurden. Das Konzept soll laut Bezirksamt die denkbar intensivste und niedrigschwelligste Bürgerbeteiligung ermöglichen. „Wir haben als Bezirk den Anspruch, etwas auszuprobieren“, sagt Grote. Er sei hoffnungsvoll, dass hier etwas Besonderes, etwas Einmaliges gelingt.
Der Bezirk hat mit der Plan-Bude ein „multidisziplinäres, im Stadtteil verankertes Team“ beauftragt, in den kommenden sechs Monaten möglichst viel lokales Wissen zu sammeln. Unter dem Titel „Knack den St. Pauli Code“ wollen die Aktivisten den Stadtteil gründlich analysieren. Ihr Büro werden sie in zwei Containern mit begehbarer Dachterrasse haben. Dort sollen sich alle informieren, diskutieren und eigene Ideen einbringen können.
„Wir sind nicht unerfahren“, sagt Künstler Christoph Schäfer und verweist auf sein Projekt „Park Fiction“. Man sei sich bewusst, dass Stadtplanung auf St. Pauli heute in einem von Interessenkonflikten geprägten Feld stattfinde. Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung sollen in den anschließenden städtebaulichen Wettbewerb für den Neubau mit 24.500 Quadratmetern Bruttogeschossfläche einfließen.
Eigentlich wollte die Stadt das Grundstück am Südhang des Pinnasbergs für drei Millionen Mark an einen Investor verkaufen.
1997 einigte sich die Stadt mit dem Hafenrandverein, sozialen Einrichtungen und einigen Künstlern, einen selbstverwalteten Park zu errichten. Die Kulturbehörde fördert mit 125.000 DM.
Mit einer "kollektiven Wunschproduktion" sollten Beteiligungsstrukturen aufgebaut werden, die es den Anwohnern ermöglichen, aktiv am Planungsprozess des Parks teilzunehmen.
Park-Fiction-projektverantwortliche Künstler, die in Gestalt von Christoph Schäfer und Margit Czenki auch bei der Plan-Bude für das Areal der Esso-Häuser mitmischen, stellten im Oktober 1997 ihren Planungscontainer mitten auf dem Pinnasberg auf.
Die umfassende Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sei auch ein Ausweg aus der verfahrenen Situation, sagt der Sprecher der Bayerischen Hausbau, Bernhard Taubenberger: „Ich gebe zu, dass es ad hoc Bedenken gibt, wenn die Gestaltung dieses Beteiligungsprozesses in die Hände bisheriger Gegner gegeben wird.“ Die Hausbau hoffe dennoch auf einen „neutralen Prozess“, von dem sie sich „praktikables Know-how aus dem Stadtteil“ verspricht, die eine breite Akzeptanz für das Bauvorhaben sicherstellt.
Mit der nun erzielten Übereinkunft haben sich die Wogen eines lang andauerndem Streits einstweilen geglättet. Die inzwischen vierjährige Auseinandersetzung um die Zukunft der Fläche, die zum Symbol der Gentrifizierung des Stadtteils geworden ist, erreichte im Februar einen neuen Höhepunkt: Da drohte die Bayerische Hausbau das Bauvorhaben bis auf Weiteres auf Eis zu legen, wenn der Bezirk an der Forderung nach mindestens 50 Prozent Sozialwohnungen festhalte. Erst Ende Mai lenkte die Bayerische Hausbau ein und stimmte dem vom Bezirk verlangten Anteil von 50 Prozent Sozialwohnungen unter der Voraussetzung zu, diesen durch Baugemeinschaften, Studenten- oder Seniorenwohnungen zu erbringen.
Der Prozess, der den Rahmen für die Neubebauung abstecken soll, startet Ende August mit einem Fest. Außerdem soll es ein begleitendes Gremium geben, in dem sich die verschiedenen Akteure regelmäßig austauschen können. Die Kosten für den Beteiligungsprozess liegen Grote zufolge im höheren fünfstelligen Bereich und werden von der Stadtentwicklungsbehörde übernommen. Läuft alles nach Zeitplan, wäre 2017 Baubeginn.
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