: Wenn Christen auf die rechte Backe geschlagen werden
■ betr.: „Halleluja“, taz vom 27.12.93
Lieber Helmut Höge, gleich vorweg möchte ich Dir sagen, ich bin einer der „netten Seelsorger“ von nebenan und „niemand anderes als Mielkes älterer großer Bruder“, und finde, daß Du an dieser Stelle etwas von den zahlreichen Weihnachtspredigten kapiert hast, nämlich die Botschaft, daß mit der Geburt Christi alle miteinander als verschwistert gelten – Du bist dann vielleicht Mielkes jüngerer Bruder. [...]
1. „Predigen, hilfreich wie ein Tumor“ – ein solches Urteil über eine Art der Rede, die seit mindestens Luthers Zeiten ungeheuer wichtig und prägend war und deren Nachfrage bis heute immer noch erstaunlich ist, kann ich nur als dümmlich, ignorant und bösartig bezeichnen. Und bis heute ist es natürlich so geblieben, daß Schreckliches und Schädliches von manchen Kanzeln herabkommt – die Niemöllers und Scharfs waren immer selten. Wenn Du also das ganze Metier miesmachst, dann müßte ich ebenso kommentieren und alles Zeitungschreiben als so hilfreich bezeichnen wie Dioxin, denn was die Springer-Presse oder sicherlich 80 Prozent unserer Presse produzieren, das ist schleichendes Gift, und nicht selten schleichen sich solche Giftschlangen auch in die taz ein.
Ich wette, daß Du überhaupt zum ersten Mal eine Kirche von innen betreten hast und keinen blassen Schimmer hast, was eine Kirchengemeinde an Gemeinwesenarbeit tut. Unsere Gemeinde übrigens hat vor elf Jahren schon die ersten Wärmestuben für Obdachlose gegründet, und jetzt öffnen wir unsere Kirche für Notübernachtungen wie viele andere Kirchen auch.
Noch mal zum Predigen: daß dieses zugegebenermaßen erst einmal autoritär und mindestens noch im nächsten Jahrtausend fortbestehen wird, liegt daran, daß hier einer oder eine spricht, die ein Stück weit mit den HörerInnen lebt, sie kennt, sie persönlich anspricht. Wenn Du das nicht brauchst, ist das Deine Sache, es gibt sicherlich nicht wenige, die auch deine taz-Kommentare nicht brauchen und trotzdem nicht die gesamte Zeitung mit Kübeln von Scheiße überschütten.[...]
2. Durch ein wenig Aneignen von Allgemeinwissen und ein wenig Fleiß hättest Du, lieber Helmut – dessen Namensvetterschaft mit unserem gemütlichen Pfälzer sicher auch ein „Resultat regressiver Entsublimierung“ ist – wissen können, daß alle wesentlichen Geistesströmungen im christlichen Abendland bis hin zur Aufklärung ihre Wurzeln und Quellen in der Bibel haben. Hier stammt alles Schreckliche und Tolle/Fortschrittliche her. Du kannst gern diesen „albernen Bibelquatsch“ vergessen und weiter verblöden – das ist Deine Privatsache.
[...] Michael Rannenberg
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