: Wenn Berlin zur Provinz wird
Immer mehr Kneipen dürfen ab 22 Uhr nicht mehr draußen ausschenken / Gaststätten-Innung kritisiert „behördliche Kleinkariertheit“ ■ Von Severin Weiland
Wer im Vorgarten des Restaurants „Rosenstübchen“ um halb zehn Uhr abends einen Wein bestellen will, hat Pech gehabt. Nicht weil Inhaber Wolfgang Berndt keine Lust mehr hätte, die neuen Gäste zu bedienen. Aber ab 22 Uhr darf er unter freiem Himmel keine Getränke mehr ausschenken und keine Speisen mehr servieren. Dabei könnte sein Restaurant, das in der zu DDR-Zeiten restaurierten Husemannstraße liegt, noch bis vier Uhr morgens die Stühle und Tische draußen stehen lassen. „Bei uns ist doch abends mehr los als am Ku'damm“, sagt Berndt. Die Anordnung des Wirtschaftsamts Prenzlauer Berg kommt Berndt teuer zu stehen. Monatlich, so schätzt er, gehen ihm durch die Sperrstunde rund 10.000 Mark verloren. Immerhin hat sein Betrieb draußen 40 Plätze zu bieten – drinnen jedoch nur 25.
Das Beispiel Berndt ist nur eines von vielen. Immer mehr haben die Gastronomen Berlins unter der rigiden Konzessionspolitik für Vor- und Schankgärten durch die dafür zuständigen Wirtschaftsämter der Bezirke zu leiden. Zwar gibt es in Berlin nach wie vor eines der liberalsten Sperrstundengesetze der Bundesrepublik. Die aus den siebziger Jahren stammende Regelung der Alliierten, wonach in Berlin nur zwischen fünf und sechs Uhr morgens die Sperrstunde gilt, hat jedoch einen entscheidenden Haken: Sie kann in Vorgärten auf privatem Grund und Boden sowie auf „öffentlichem Straßenland“ behördlich eingeschränkt werden.
Genau über diese Schiene, so fürchtet die Hotel- und Gaststätten-Innung Berlin und Umgebung, werde die Sperrstunde durch „die Hintertür“ eingeführt, so deren Präsident Michael Wegner.
Von rund 1.100 Betrieben mit Gärten nutzen nach Schätzungen der Innung 95 Prozent genehmigungspflichtiges öffentliches Straßenland. Bei Neuanmeldungen, so Wegner, werde heute von den Wirtschaftsämtern gleich die 22-Uhr-Regelung festgeschrieben. Bei Altgenehmigungen reicht hingegen nach den Erfahrungen vieler Kneipiers oftmals nur der Aufschrei eines Anwohners aus, um das zuständige Wirtschaftsamt in Bewegung zu setzen. Fällt die Lärmmessung, die im Auftrag des Bezirkes von der Senatsverwaltung für Umweltschutz durchgeführt wird, zu Ungunsten des Inhabers aus, droht die zeitliche Einschränkung der Betriebsgenehmigung. Wegner sieht für Berlins Kneipen- und Restaurantkultur schlechte Zeiten anbrechen. Nicht nur, daß „behördliche Kleinkariertheit“ und „Provinzialität“ ein „Stück urbaner Lebensqualität“ zermalme. Bedroht sei auch die wirtschaftliche Grundlage von rund 200 Betrieben.
Siehe Kommentar Seite 25
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