: Wenig Proteste in Israel
Die Reise des israelischen Staatspräsidenten Herzog in die Bundesrepublik ist im eigenen Land auf wenig Widerspruch gestoßen. Das Sekretariat des Präsidenten in Jerusalem meldete, die „schweigende Mehrheit“ der Israelis heiße die Reise gut. Michael Schaschar, ein Berater des früheren Präsidenten Efraim Kazir (Arbeiterpartei), ist da anderer Ansicht. Vor der Residenz des Präsidenten demonstrierte er gegen die Reise. „Solange noch Nazis aus der Hitlerzeit in Deutschland am Leben sind, darf ein israelischer Staatspräsident nicht in offizieller Funktion nach Bonn fliegen“, erklärte er. Die Herzog–Visite sei auch unvereinbar mit dem derzeit laufenden Prozeß gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher John Demjanjuk, fügte er hinzu. Auch Erez Bitton, ein aus Marokko stammender jüdischer Dichter, vertritt eine ähnliche Auffassung. Er hält den Besuch Herzogs für eine grobe Taktlosigkeit, die dem Andenken an die sechs Millionen unter dem Nationalsozialimus getöteten Juden schadet. Bitton dient als bekannter Publizist der sefardischen Mehrheit der jüdischen Israelis häufig als Sprachrohr. In der Presse wurde der Bonn– Besuch Herzogs am Sonntag unterschiedlich bewertet. Als eine der kritischen Stimmen bezeichnete der Philosoph Yirmiahu Yovel in dem Massenblatt „Yediot Aharonoth“ die Herzog– Reise für die Deutschen als „Eintrittskarte in die Familie der Völker“. Die Deutschen erwarteten, als neue Generation angesehen zu werden, die nicht länger für den Holocaust verantwortlich gemacht werden könne. Derartige Kritik teilt Dov Ben– Meir, Abgeordneter der Arbeiterpartei und stellvertretender Parlamentspräsident, nicht. Er begleitet Herzog gemeinsam mit Joseph Burg von der National–Religiösen Partei in die Bundesrepublik. Wenn David Ben–Gurion, erster Ministerpräsident Israels, bereits 1952 für das Wiedergutmachungsabkommen mit der Bundesregierung eintreten konnte, dann sei es heute auch einem israelischen Präsidenten gestattet, einen Staatsbesuch in der Bundesrepublik zu absolvieren. Israel sei auf Freunde angewiesen, und daß der Demjanjuk–Prozeß gerade jetzt laufe, sei eher ein „Glücksfall, der zeigt, daß wir die Vergangenheit nicht vergessen haben“. Wie im Falle Ben Gurions, geht es auch heute in erster Linie um die Sicherheitsinteressen Israels als dem wichtigsten Kriterium für die Realpolitik gegenüber der Bundesrepublik. Damit die Interessen Israels auch optimal berücksichtigt werden, soll dem Ereignis die größtmögliche Publizität verliehen werden. Vor seiner Abreise hat Herzog bereits rund hundert Interviews mit ausländischen Medien gegeben, und etwa sechshundert Korrespondenten aus aller Welt begleiten den ersten Besuch eines israelischen Staatschefs in die Bundesrepublik. Amos Wollin
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