: Wen bestraft der 218?
■ Untersuchung des Max-Planck-Instituts nennt zum ersten Mal Zahlen / Seit 1977 1.500 Ermittlungsverfahren
Abtreibungen hat es, legal oder illegal, schon immer gegeben. Wie bekannt, ist auch nach der Reform des Paragraph 218 ein Schwangerschaftsabbruch strafbar. Wer allerdings bestraft wird, und ob die Strafandrohung wirklich Abbrüche verhindert, darüber gibt es bis heute keine Statistik.
Fest steht nur, daß es auch seit der Reform im Jahre 1976 die Schwächsten und Hilflosesten unter den abtreibenden Frauen sind, die, weil sie gegen die strengen Auflagen des Gesetzes verstoßen, bestraft werden.
Das ergab eine Aktenanalyse der 851 Verfahren seit 1976, die noch erfaßbar waren. Die Untersuchung, die im Rahmen eines Forschungsprojekts am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg durchgeführt wurde, macht klar, wie schwierig die soziale Situation der betroffenen Frauen ist. Nahezu Dreiviertel von ihnen konnten in der Konfliktsituation nicht auf die Unterstützung des Partners bauen. Sie waren unverheiratet, geschieden oder lebten getrennt. Mehr als die Hälfte der Frauen hatten keine Berufsausbildung. Fast Dreiviertel von ihnen hatten die Haupt- oder Sonderschule besucht. Ihren Unterhalt von durchschnittlich 600 Mark im Monat verdienten sich 70 Prozent der Betroffenen selbst.
Experten sprechen bei der Anwendung des reformierten Paragraph 218 gerne vom Zufallsstrafrecht. Wenn nicht medizinische Komplikationen eintreten, weil die Abtreibung von Kurpfuschern vorgenommen wurde, oder die Behörden die Patientinnenkarteien von Frauenärzten beschlagnahmen, wie in Memmingen oder jetzt in Neuwied, sind es oft die Frauen selbst, die sich bei der Einreise aus den Niederlanden ungewollt selbst anzeigen. So entschied das Amtsgericht Höxter 1987, daß eine 24jährige Frau 800 Mark Geldbuße zahlen mußte, weil sie nach Holland fuhr, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Eine hohe Geldstrafe mußte die Mutter eines 14jährigen Mädchens zahlen, weil sie die Tochter zum Abbruch nach Holland begleitete. Das Mädchen war vom Freund der Mutter schwanger, der bereits zwei nichteheliche Kinder hatte und für diese keinen Unterhalt zahlte. 4.500 Mark Geldstrafe auch für die Ärztin. Denn sie hatte Mutter und Tochter den Tip gegeben, nach Holland zu fahren, nachdem dem Mädchen trotz sozialer Indikation der Schwangerschaftsabbruch im Krankenhaus von Alfeld (bei Hildesheim) verweigert worden war. Die Ärztin ging in die Berufung und wurde freigesprochen. Die Mutter des Mädchens, die als Aushilfskellnerin ihre fünf Kinder ernähren muß, verzichtete auf die Berufung und zahlte. Insgesamt wurden von 1977-1985 knapp 1.500 Fälle von bundesdeutschen Behörden ermittelt. Knapp die Hälfte aller Verfahren wurde jedoch ohne weitere Maßnahmen abgeschlossen. Nicht zuletzt, weil die Frauen die Aussage verweigerten und keine anderen Anhaltspunkte gefunden werden konnten. Für Frauen hat sich seit der Reform die Chance erhöht, ohne Strafe davonzukommen. Zu diesem Ergebnis kommt Hansgeorg Koch, Jurist und Mitherausgeber der Studie des Max-Planck -Instituts Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich.
Ob aber gegen eine Frau ermittelt wird, ob sie aufgrund des Paragraph 218 bestraft wird, das hängt oft davon ab, in welchem Teil der Bundesrepublik sie wohnt. In Bayern und Baden-Württemberg sind mehr als die Hälfte aller Fälle registriert, obwohl dort nur ein Drittel der Bundesdeutschen wohnt. Dieses Mißverhältnis ermittelte der Freiburger Jurist Koch im Rahmen seiner Analysen der Kriminal- und Strafverfolgungsstatistik. Und: Wer in Bayern oder Baden -Württemberg einmal als tatverdächtig erfaßt ist, hat deutlich geringere Chancen, am Ende straffrei davonzukommen als ein Tatverdächtiger in anderen Bundesländern.
Jutta Brinkmann/(fp)
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