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Filmfeste BiographienWem die Sympathien gehören

■ Die Kernfamilie: Geschwister wie Spiegel, Geschwister wie Waffen

Anders als im Western gibt es im Familienfilm wenig Hoffnung, daß sich die Verfolgten und Verspotteten in strahlende Helden verwandeln. Die Struktur der Familie ist nahezu unverrückbar. Oder?

Jodie Fosters „Familienfest“ versucht mit dem durch Altman und Tarantino erprobten Anekdotenquirl, die Story mit Komplexität zu laden. Dennoch ist das Fazit eindeutig: Die hedonistischen Kinder, die sozial oder geographisch von den Eltern am weitesten geflohen sind, etablieren einen späten Draht zu den schrullig gewordenen Alten. Bei Foster ist es ein beunruhigend zu Exzessen des Frohsinns neigender schwuler Sohn mit warm leuchtender Aura, der zum US-Familienfest Nummer eins, Erntedank, jedem Hang zu Besinnlichkeit oder Sentimentalität überzeugend abhilft.

Mit der älteren Schwester teilt er das Gefühl, wie die ausgeschlossene Dritte sich ausdrückt, „etwas Besseres zu sein“. Sie meint das antifamiliale Bündnis der Bohème, dessen Genese dennoch – wie der Film fast unfreiwillig offenbart – in der Familie liegt: sie ist die Vater-Tochter und er der Mutter-Sohn.

Die Dritte hingegen ist die Unglückliche, und was glaubt Ihr, wie sie lebt? Richtig. Sie ist verheiratet, ihr Mann ist im Bankgeschäft, sie haben ein Kind und fahren einen Volvo. Nur ein Vergnügen ist ihr geblieben: das Treten der Maschinen im heimischen Fitneßkeller.

Wenn Jodie Foster auf die Frage nach der Unglücklichen sagt, gerade diese interessiere sie am meisten – glaube ich ihr kein Wort. Was ich ihr eher glaube, ist, daß sich die Konflikte der „Geschwister“ bei den Schauspielern am Set wiederholt haben: Die Provo-Attitüde des schwulen Bruders entspricht nämlich dem Hang des Schauspielers Robert Downey junior, durch Störung beim Drehen Improvisation zu erzwingen, während Cynthia Stevenson, die „bürgerliche“ Schwester, auf den Vorgaben des Skripts und der abgesprochenen Regie beharrt. Ohne es zu wollen, läßt Foster durchblicken, wem ihre Sympathien gehören. Der Opportunismus, dem sie Vorschub leistet, ist ihr (fürchte ich) entgangen.

Zwei weitere Filme handeln von jeweils drei Geschwistern, wobei „Willkommen im Puppenhaus“ von Todd Solondz sie als Jugendliche betrachtet, zentriert auf die Mittlere, Dawn Wiener, elf Jahre alt (die Darstellerin mit dem unglaublichen Namen Heather Matarazzo ist allerdings klar ein Mädchen in der frühen Pubertät). Der ältere Bruder lebt vor, wie man sich mit Kompromissen kompromittiert, und die sehr viel jüngere Schwester hält ihr den Spiegel jenes Sweethearts vor, das sie in den Augen der Eltern hätte werden sollen.

Zweierlei habe ich erst in diesem Film plastisch vor mir gesehen: 1., daß Eltern ihre Kinder tatsächlich scharf machen können wie Waffen, und zwar nach den Regeln durchaus gewöhnlicher Repression; 2., daß das adoleszente Gekreische „Du bist schwul“ (und offenbar, jedenfalls in Amerika, jetzt auch „Du bist lesbisch“) wahrscheinlich ein negativer Mechanismus ist, um das zu isolieren, was keinen Namen hat und unerreichbar scheint: Heterosexualität.

„Willkommen im Puppenhaus“ ist keine Komödie, wie der Verleih suggeriert, sondern eine durchaus schmerzliche Studie um das ungeliebte Mädchen und dessen groteskes Selbstbild, mit Sprengseln von schwarzem Humor, die unter die Haut gehen. Im Unterschied zu Jodie Fosters Film interessiert sich dieser Film wirklich für die unglücklichste der Gestalten und zeichnet Ansätze eines Auswegs: Dawn sucht ausgerechnet die Gesellschaft derer, die am Rande der Delinquenz leben, und stößt gerade dort, wo Täuschung zum Alltagsspiel gehört, an die Grenzen einer Wahrhaftigkeit. Es gibt Leute, die müssen erst punk (oder grunge) werden und können dann auf die Universität. Natürlich gibt es auch andere Riten des Übergangs. Auf jeden Fall hat Dawn mit elf mehr (Leidenschaft) durchlebt als ihr Bruder mit sechzehn, und das kann ja helfen. Nur ein Film fällt mir ein, der die Akribie von diesem erreicht: Jutta Brückners „Hungerjahre“ – und welche Filme kümmern sich eigentlich sonst um Mädchen?

Selbstverständlich „Sinn und Sinnlichkeit“ von Ang Lee, antwortet der Festivalchor, England 1811. Die jüngste der drei Schwestern, in Dawns Alter, ist ein bißchen Kinderstaffage mit deutlich jungenhaftem Unterton. Die Rollen der älteren Schwestern aber werden spiegelhaft erhellt. Es ist befremdlich zu sehen, wie ihr Gefühlsleben eingewoben ist in eine Diplomatie, eine Öffentlichkeit der Familie, die jede Avance eines zu Pferde kommenden Mannes in eine Angelegenheit des Schicksals verwandelt und jede Regung der jungen Frauen mit Wohlwollen oder Argwohn lasermäßig erfaßt und kategorisiert.

Auf der einen Seite ist die wahrhaft geschwisterliche Welt, die mit jungfräulicher Naivität nichts zu tun hat – sondern im Gegenteil das geballte Wissen dessen, was hinter der Schranke der Heirat liegt, mit äußerstem Reichtum der Empfindung zur Sprache bringt. Ziel ist es, sich nicht zu täuschen: ein eheliches Nest zu finden, das den geschwisterlichen Diskurs um Sexualität bereichert und nicht ihn gegen Sexualität eintauscht.

Gute Geschwister sind solche, die ihren Schwestern helfen Männer zu finden, die sie – die Schwestern – weitgehend ersetzen. Diese wundervolle Suche nach dem Modell, dem nichts fehlt, bedeutet das Ende feudal geprägter Biographien und zeigt auf durchaus rührende Art (ja, Tränen über Tränen!) den Beginn dessen, was „bürgerliche Ehe“ heißt und heute, angeblich, nicht mehr hoch im Kurs steht. Ulf Erdmann Ziegler

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