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Archiv-Artikel

Wem die Likembe scheppert

CONGOTRONICS Es ist laut in Kinshasas Straßen, diese Band ist noch lauter: Konono No. 1 klingt wie der Sound der Love-Parade Anfang der 90er

Die Musiker wollten zunächst lieber moderne Verstärker haben, aber die Grooves funktionierten ohne Bratzfaktor nicht

VON JAN KAGE

Gefragt nach seiner Vorliebe für synkopische Rhythmen, erklärte Keith Richard von den Rolling Stones einmal sinngemäß, dass wir kulturell nach wie vor alle Afrikaner seien.

Die Gefahr, die kongolesische Band Konono No. 1 unter rein ethnokitschigen Gesichtspunkten zu konsumieren, ist gering. Denn die Musik, die die achtköpfige Gruppe durch ihre metallenen, den Sound verzerrenden Lautsprecher dröhnen lässt, findet man im Plattenladen zwar unter dem selbstbequemen Label Weltmusik eingeordnet, doch genauso gut funktioniert sie auf einem aufgeschlossenen Rave. Zur Musik von Konono No. 1 kann man feiern, ohne seine Mitleids-Dritte-Welt-Brille aufzusetzen: Denn die repetitiv treibenden Trance-Rhythmen, von einer Rhythmussektion aus Congas, Blechtrommeln, Autoschrottteilen und Kuhglocken nach vorn getrieben und von dem zentralen Element, der Likembe, tonal beschwingt, übertönen jedes liberale Schuldgefühl.

Die Likembe, auch Daumenklavier genannt, besteht aus mehreren auf eine Holzplatte montierten, unterschiedlich langen Metallstäben, die mit dem Daumen angetippt gespielt werden. Die Musiker von Konono No. 1 sind außerdem dazu übergegangen, die Likembe-Sounds mit einer Art E-Gitarren-Pick-up abzunehmen und elektrisch zu verstärken, um sich über Kinshasas Straßenlärm erheben zu können. Diese elektronische Likembe bratzt und scheppert aus uralten Lautsprechern, die die belgischen Kolonialherren dem Kongo hinterließen. Der so entstehende Klang ist eine Mischung aus verzerrter E-Gitarre und den bratzigeren digitalen Sounds von Mouse on Mars.

„Genauso wie wir unsere Likembes elektrisch verstärken, benutzen unsere Drummer Metallschrott, Topfdeckel, Radkappen und Mikrofone, um lauter zu sein“, erklärt der Bandleader Augustin Mawangu den Sound der Gruppe. „Der einzige Grund, warum wir das tun, ist, gegen den Lärm der Stadt anzukommen.“ Und auf die Ähnlichkeiten mit westlicher Clubmusik angesprochen, spekuliert er: „Diese Verbindung zwischen uns und moderner elektronischer Tanzmusik gibt es, weil diese durch ihre Repetivität und ihren Gebrauch von Verzerrern und Störgeräuschen an unsere heranreicht. Unsere Musik ist allgemein verständlich.“

Erfolgreich im Westen

Gegründet wurden Konono No. 1 vor weit über dreißig Jahren von Augustins Vater Mingiedi Mawangu. 1949 zog dieser vom Land nach Kinshasa, das damals noch Léopoldville hieß und Hauptstadt der belgischen Kolonie Kongo war. Dort gründete er alsbald eine Band und begann die traditionelle Musik vom Lande der Großstadt anzupassen. Die eigentlich auf einen Hohlkörper montierten Metallstäbe der Likembe befestigte er 1963 auf einem flachen Brett, und er baute Pick-ups ein.

Die elektrische Verstärkung erwies sich als dermaßen brauchbar, dass er bald für viele Musiker im Land die Instrumente baute. Eigentlich war die Band auch nach Mawangu selbst benannt und trat als Le Group de Mingiedi auf, aber in den 1980ern hatte man einen Hit, den jeder im Kongo kannte. In dem auf Kikongo gesungen Lied „Lufuala Ndonga“ fällt das Wort „Kukonana“, das eine spezielle Art von Traurigkeit bezeichnet beziehungsweise die Form des Zitterns, die man erleidet, wenn man in der Kälte keinen Mantel hat und sich deshalb traurig fühlt. So kam es, dass man die Band bald nur noch nach ihrem populärsten Lied nannte.

Aber Konono No. 1 ist mehr als eine Gruppe. Inzwischen gibt es ein, zwei, drei, vier, viele Kononos. Eine ganze Schule von Musikern versammelt sich um die No. 1 und versorgt diese mit frischem Talent, zum Beispiel dann, wenn Musiker aus der Primärgruppe ausscheiden.

Außerdem bedienen die anderen Kononos die Nachfrage nach Hochzeits- und Beerdigungsbands, wenn die No. 1 mal wieder auf Welttournee ist. Denn diese Gigs in der Community bilden nach wie vor das Kerngeschäft. „Wir spielen hauptsächlich in und um Kinshasa auf Beerdigungen, Hochzeiten und dergleichen, daran hat auch unser internationaler Erfolg nichts geändert“, versichert Augustin Mingiedi. „Das ist Teil unseres Dienstes an der Gemeinde.“ Im Kongo selbst ist nicht unbedingt bekannt, wie erfolgreich Konono No. 1 mittlerweile in Europa, Nordamerika und Japan sind, denn es gibt keinen einfachen Zugang zum Internet.

Der Erfolg kam von außen – wie so oft in diesen Fällen, in denen ein Phänomen von der Peripherie bis weit ins kommerziell relevante Zentrum vorzudringen vermag. Der belgische Produzent Vincent Kenis, der schon Jahre zuvor im Kongo Musik aufgenommen hatte, entdeckte die Gruppe 2002 für den westlichen Markt. Sein Verdienst ist es, dass er den rauen, verzerrten Sound bewahrte. Die Musiker selber wollten von Kenis lieber moderne Verstärker haben, aber die Grooves wollten ohne den Bratzfaktor nicht richtig funktionieren. Kenis editierte die oft halbstündigen Jams der Gruppe zu kommensurablen fünf- bis zehnminütigen Stücken und veröffentlichte 2005 die Platte „Congotronics 1“. Ein Hype setzte ein. Für das Livealbum „Live At Couleur Café“ gab es 2006 sogar eine Grammy-Nominierung. Musiker wie Thom Yorke von Radiohead, Beck, Björk und Herbie Hancock, auf dessen neuer Platte Konono No. 1 auch zu hören sind, zählen zu ihren Fans.

Bleibt noch eine Empfehlung auszusprechen. Hallo Raver, wenn ihr mal im Kongo auf einer Hochzeit seid und Konono No. 1 treten auf: Es klingt wie bei der Love-Parade Anfang der 90er!

■ Konono No. 1, „Assume Crash Power“ (Crammed Discs/Indigo/PIAS)