Weltweites Rapper-Treffen in Manila: Gangs und Goethe
Was passiert, wenn ein deutsches Kulturinstitut Rapper aus aller Welt zusammenbringt? Über einen Versuch auf den Philippinen, über Musik fremde Welten zu verbinden.
MANILA taz | Sie kennen sich schon länger. Die Begrüßung fällt deshalb vertraut aus an diesem tropisch schwülen Abend vor der Quantum Bar in Makati City, dem Geschäftsviertel von Manila. Zuerst geben sich Shielbert Manuel und Richard Künzel brav die Hand, dann zieht der Filipino sein deutsches Gegenüber heran, die rechten Schultern der beiden berühren sich. Einen kurzen Moment verharren die beiden so, verbunden im international gültigen Gangsta-Hug, der rituellen Begrüßung unter Rappern. Bosse unter sich: Der eine steht als Direktor dem örtlichen Goethe-Institut vor, der andere ist in Tondo, einem der ärmsten Viertel von Manila, der regionale Kopf der größten Gang der Philippinen.
Der Anlass für das Treffen: Das Abschlusskonzert des Workshops "Translating HipHop". Drei Tage lang haben Rapper aus Kolumbien, dem Libanon, Kenia, Deutschland und den Philippinen versucht, die Texte der anderen in ihre eigenen Muttersprachen zu übertragen. Sie haben Reime gesucht und an Metaphern gefeilt, die neu entstandenen Songs aufgenommen und sich ausgetauscht. Nun soll im Quantum Café gefeiert werden, dass die Welt mit Hilfe der Musik wieder ein wenig weiter zusammengerückt ist.
Es ist bereits die vierte Station von "Translating HipHop". Vorher wurden Rapper nach Bogotá, Nairobi und Beirut geschafft, organisiert von den Goethe-Instituten vor Ort und dem Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin, wo im November auf einem Festival die Ergebnisse der Workshops präsentiert und auf einem parallel laufenden Kongress ausgewertet und diskutiert werden sollen.
"Der Rahmen, den wir schaffen, wird selbst zu einer neuen Kreativform", formuliert Bernd Scherer, der ebenfalls angereiste Intendant des HKW, die Idee hinter der Veranstaltungsreihe. "Das Interesse, Texte aus einer anderen Sprache zu verstehen, wird für die Rapper zu einer Inspiration, aus der ganz neue Texte entstehen. Vor allem aber soll der Übertragungsaspekt als kreativer Prozess dargestellt werden."
In der Praxis sieht das so aus: Shielbert, Filemon und Restly, die drei Rapper des Tondo Tribe aus Manila, schreiben ihre Texte in Tagalog, einem der wichtigsten von über 70 Dialekten des Inselstaates. Diese Texte wurden vor dem Workshop von professionellen Übersetzern ins Englische übertragen.
Aus Spanisch wird Deutsch, aus Arabisch Taglog
Auf dieser Grundlage fertigen nun die nach Manila eingeflogenen Rapper und Rapperinnen neue Versionen in ihrer Sprache: Chefket und Amewu in Deutsch, Malikah in Arabisch, Flaco Flow in Spanisch und Nazizi aus Nairobi in Sheng, einem Hybrid aus Swahili, weiteren afrikanischen Sprachen und Englisch. Und so geht es fröhlich hin und her: Die Tische im Quantum Café sind bedeckt mit Textblättern, die eine erklärt dem anderen, wie sie jene Metapher gemeint hat, aus Spanisch wird Deutsch, aus Arabisch Taglog, aus Sheng wieder Spanisch.
Die babylonische Sprachverwirrung soll, so die Intention der Macher, vor allem eines klarstellen: Dass es zwar keine wahrhaftige Übersetzung geben kann. Dass aber der Prozess der Übertragung als kreativer Akt verstanden werden muss. Rap ist für so ein Projekt besonders geeignet, weil sich der HipHop mittlerweile auf der ganzen Welt verbreitet hat. Er stellt bestimmte, international gültige Grundformen zur Verfügung, die aber auf lokaler Ebene immer neu mit Inhalt gefüllt werden. Dieser Content wird nicht zuletzt von den jeweiligen Lebensumständen bestimmt. "Es ist dasselbe Format", sagt Shielbert, der einen Text von Amewu übersetzt, "aber es geht um andere Dinge. Wir führen ein anderes Leben."
Vollkornreis und Ruinen
Wie verschieden diese Lebensumstände sein können, wird den Teilnehmern sofort nach der Ankunft vorgeführt. Das Quantum Café, in dem sich die Rapper am Morgen nach der Ankunft zur gemeinsamen Übertragungsarbeit treffen, versteht sich zwar als "healthy alternative" zur üblichen philippinischen Kost, würde auch in Berlin-Prenzlauer Berg nicht weiter auffallen und dürfte der einzige Ort auf den Philippinen sein, an dem Vollkornreis gekocht wird. Aber direkt gegenüber liegt die ausgeweidete Ruine eines ehemaligen Einkaufszentrums, die von schmächtigen Arbeitern mit unzureichendem Werkzeug eher abgenagt als abgetragen wird.
Ein Schrottdieb stirbt
Immer wieder treiben sich Schrottdiebe in dem Gelände herum, und wer von der Rauchpause vor der Tür zurückkommt, kann oft berichten, dass wieder die Polizei auftaucht ist und junge Männer mit Eisen unter dem Arm die Flucht ergriffen haben. Irgendwann fallen sogar Schüsse, die Polizei hat nicht nur in die Luft geschossen. Am letzten Abend, kurz vor dem Auftritt, macht die Nachricht die Runde, dass einer der Schrottdiebe gestorben ist. Die Polizei spannt ein gelbes Flatterband: "Police Crime Do Not Cross". Chefket sitzt auf der Bank vor dem Café, schüttelt den Kopf und sagt: "Wahnsinn." Er muss überredet werden, mit den anderen vor dem gelben Plastikband für ein Gruppenfoto zu posieren. Später wird Nazizi erzählen, dass sie zu Hause in Kenia zweimal ausgeraubt wurde und dabei jedes Mal in das Mündungsrohr einer Waffe blickte. Eine normale Quote in ihrer Heimat, meint sie.
Wie simpel aber dann die Musik doch Brücken schlagen kann zwischen den Welten, wird deutlich bei einem Ausflug nach Tondo am Vortag des Abschlusskonzertes. Die Ränder der von einem wahnwitzigen Verkehr brummenden Ausfallstraße ins Armenviertel haben sogenannte Squatters in Besitz genommen. Bis zu drei niedrige Stockwerke sind die Hütten aus Müll hoch, vor denen auf kleinen Holzfeuern gekocht wird, Babys werden gestillt und einfache Dienstleistungen angeboten. "Hier sieht es nicht nur ungefähr, sondern genauso aus wie bei mir zu Hause", wird Flaco Flow, der in Kolumbien in einem Barrio aufgewachsen ist, später sagen.
Erst einmal aber biegt der Kleinbus ab in eine Nebenstraße und das Ghetto nimmt freundlichere Farben an. Das Haus von Shielbert ist schmal, aber aus Beton und Stein, und glänzt in der engen Gasse mit einer extravaganten apricotfarbenen Fassade. Im Haus warten Mutter, Frau, zwei kleine Kinder und drei Playstations. Vor der Tür steht ein weiteres Statussymbol, ein schon etwas älteres Auto, auf dessen Kühlerhaube Cola und Chips serviert werden.
"Kommt mit uns"
Schnell sammelt sich eine halbe Hundertschaft Kinder, die von den unerwarteten Besuchern mit A-cappella-Rap unterhalten wird. Niemand versteht die arabischen Reime von Malikah oder gar die deutschen Verse von Chefket, aber das stört auch keinen. Schließlich wird Shielbert, der trotz einer respektgebietenden Aura den gemütlichen Charme eines Teddybären ausstrahlt, von den Kollegen aus der ganzen Welt genötigt, seine Skillz zu demonstrieren. Doch stattdessen stimmt er nur den Refrain des hier bekanntesten Songs des Tondo Tribe an: "Kommt mit uns", singt der Chor aus Ghettokindern in Tagalog, "und werde ein echter Gangster."
Als Rapper nennt sich der 25-jährige Shielbert OG Sacred One. Das OG steht international für "Original Gangster". Ein paar Stunden zuvor hatte er erzählt, wie er "den Charakter der Gang verändert" hat in den vergangenen Jahren. Er lässt offen, inwieweit Schutzgeld oder Prostitution noch zum Einkommen beitragen. Aber seit es die Rapper aus Tondo - auch dank Fernsehberichten, die den Eindruck vermitteln, das Viertel sei eine einzige Müllhalde - zu einer gewissen Berühmtheit gebracht haben, ist Shielbert in der Lage, viele kleine Jobs zu vermitteln: Auftritte hier und dort, Rollen in Filmen und Musikclips, Aufträge für Soundtracksongs für Film und TV, Herstellung und Verkauf von Tondo-Tribe-T-Shirts. Das Angebot eines philippinischen Fernsehsenders, seine Lebensgeschichte zu verfilmen, hat er allerdings abgelehnt. Bald will Shielbert ein Studio einrichten für den Tondo Tribe, deren bis zu 15 Mitglieder in verschiedenen Konstellationen auftreten.
Echtes Organisationstalent
Im vergangenen Jahr stand der Tribe schon im Mittelpunkt des Projekts "Rap in Tondo", organisiert vom Goethe-Institut Manila und seinem französischen Gegenstück Alliance Française de Manille. Dessen zweite Runde startet gleich im Anschluss an "Translating HipHop". Nun plant Shielbert sogar, eine NGO zu gründen, um seine Aktivitäten angemessen zu institutionalisieren und mit den Geldgebern auf Augenhöhe verhandeln zu können. Als er gefragt wird, ob aus dem Gangster mittlerweile ein echter Sozialarbeiter geworden sei, muss er laut lachen: "Ich habe offensichtlich ein Talent, Dinge zu organisieren."
HipHop, so viel wird klar in diesen Tagen in Manila, funktioniert ebenso als Vehikel der Sozialarbeit wie als Gegenstand der kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Sprache. Und das Abschlusskonzert im Quantum beweist dann, dass HipHop sogar auch ganz einfach Musik sein kann. Chefket eröffnet den Abend mit einem erstaunlichen Talent zur Rampensau, Malikah lässt das Publikum die Hand zum Peace-Zeichen heben und Nazizi bringt mit ihrem Dancehall-Reggae sogar die Damen in den Stöckelschuhen zum Tanzen. Selbst als Amewu reflexive Vokalakrobatik ohne musikalische Begleitung vorträgt, lauschen die Zuhörer andächtig.
Das Publikum ist begeistert, allerdings leider eher spärlich erschienen. Es ist der am schlechtesten besuchte Auftritt der Workshopreihe. In Bogotá, Nairobi und Beirut waren die Clubs brechend voll. Hier haben sich etwa hundert gutsituierter HipHop-Fans eingefunden, viele davon Deutschschüler und -schülerinnen des Goethe-Instituts. Nur wenige sind aus Tondo gekommen. Der Grund, so Shielbert, ist ganz einfach: Wenn es dunkel wird, fahren weder Busse noch Taxis aus dem Bankenviertel Makati über den Fluss nach Norden ins Ghetto. Zu gewissen Zeiten bleiben die beiden Welten dann doch noch sehr weit voneinander entfernt.
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