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Weltweit 100.000.000 Entwurzelte

Die Bevölkerungsagentur der Vereinten Nationen legte ihren Jahresbericht mit dem Schwerpunkt „Migration“ vor / Neue Erkenntnis: Immer mehr Frauen verlassen ihre Heimat  ■ Von Michael Sontheimer

Berlin (taz) – Mindestens einhundert Millionen Menschen – das sind nahezu zwei Prozent der Bevölkerung der Erde – sind mittlerweile auf der Flucht vor Krieg, Dürre und Umweltzerstörung oder haben ihre Heimat verlassen, um sich bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Dies berichtet der „United Nations Fund for Population Activities“ (UNFPA) in seinem Jahresreport, der jetzt in Bonn vorgelegt wurde. Besonders besorgniserregend ist für die Bevölkerungsexperten der UNO, daß die Zahlen der Entwurzelten besonders in der Dritten Welt immer schneller wachse.

Der UNFPA weist darauf hin, daß siebzehn Millionen Menschen aus ihren Heimatstaaten geflüchtet und als Flüchtlinge registriert sind. Darüber hinaus haben schätzungsweise weitere zwanzig Millionen ihre Heimat wegen Krieg, Dürre und Umweltzerstörung verlassen. Während diese Zahlen noch einigermaßen verläßlich sind, vermag jedoch niemand zu sagen, wie hoch die Zahl derer ist, die zu Flüchtlingen in ihrem eigenen Land geworden und innerhalb der Landesgrenzen, etwa vom Land in Städte, gewandert sind.

Nach der Auffassung des UNFPA treibt das Zusammentreffen von Armut, raschem Bevölkerungswachstum und Umweltzerstörung sowohl interne als auch grenzüberschreitende Wanderungen an. Diese Tendenz ist am ausgeprägtesten in Afrika, aber läßt sich auch in Südasien und einigen lateinamerikanischen Ländern beobachten. Bei den internen Wanderungen dominiert die Landflucht. „Während sie früher ein Zeichen für die Stärke und Dynamik der Volkswirtschaft eines Landes war“, heißt es in dem Bericht, „geben Geschwindigkeit und Ausmaß des Städtewachstums inzwischen immer mehr Anlaß zur Besorgnis.“

Die armen Bewohnerinnen und Bewohner der Städte stoßen ihrerseits auf wachsende Schwierigkeiten, wenn sie ihre Lebensbedingungen verbessern oder auch nur aufrechterhalten wollen. Die Entscheidung zu emigrieren, so der Report, könne zwar auch Teil einer auf das Überleben oder die persönliche Weiterentwicklung gerichtete Strategie sein. Oft werde sie jedoch durch Einflüsse von außen erzwungen.

Das interessanteste Ergebnis des Berichts: Waren es bislang vorwiegend Männer, die in die Fremde gingen, um dort ein besseres Leben zu finden, machen inzwischen Frauen die Hälfte der Entwurzelten aus. Diese Entwicklung begründet der UNFPA so: „Das Ausmaß der Migration wie auch die Zwangslage, die eine Migration als einzige Alternative erscheinen lassen, hängen wesentlich mit der Unterprivilegierung der Frauen zusammen.“ Frauen entschieden außerdem zunehmend selbst, wann und wohin sie fliehen. Der UNFPA hat am Ende des zitierten Berichtes eine ganze Reihe von Empfehlungen formuliert, wie auf der einen Seite die Verhältnisse verändert werden könnten, die Menschen zur Migration zwingen, auf der anderen Seite aber auch das Los der Entwurzelten verbessert werden könnte. Entscheidend ist dabei die Entwicklung sozialer und wirtschaftlicher Infrastruktur in ländlichen Gebieten der Dritten Welt, die von den in den Metropolen residierenden Eliten traditionell vernachlässigt werden. Um der zunehmenden Landflucht und der Abwanderung in fremde Länder zu begegnen, sind des weiteren die Verbesserung des Status der Frauen und die Schaffung von Gleichberechtigung von essentieller Bedeutung. UNFPA verlangt deshalb, Frauen einen besseren Zugang zu Bildung und Produktionsmitteln zu verschaffen sowie kulturelle und religiöse Schranken abzubauen, welche der Gleichberechtigung im Wege stehen. „Die einzig wirkungsvollen Mittel einer langfristigen Verminderung des Migrationsdruckes sind eine Verlangsamung des Bevölkerungswachstums, eine Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Heimatländern.“

Vor diesem Hintergrund sollten die Industrienationen des Nordens die Auswirkungen ihrer Wirtschafts-, Handels- und Entwicklungspolitik auf die weltweiten Migrationsbewegungen in Rechnung stellen. Die internationale Gemeinschaft müsse die Forschung über Migration und ihre verschiedenen Ursachen viel mehr als bislang unterstützen.

Bundesentwicklungsminister Carl-Dieter Spranger (CSU) erklärte zum UNFPA-Bericht, daß in Deutschland bisher zu wenig beachtet werde, daß Menschen ihre Heimat vor allem deshalb verlassen, weil ihre wirtschaftliche und soziale Lage unerträglich ist. Allerdings seien auch ethnische Verfolgung und Mißachtung der Menschenrechte Fluchtgründe. Dies müsse die Entwicklungspolitik bei der Mittelvergabe ebenfalls berücksichtigen.

Der UNFPA-Bericht schließt eher düster als hoffnungsfroh. „Sollten die geforderten Initiativen nicht ergriffen werden“, prophezeien die UN-Bevölkerungsexperten, „könnte die Migration zur Menschheitskrise unseres Zeitalters werden.“

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