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■ Weltsensation auf der „Grünen Woche“ in Berlin„Wat is denn dat für eine Fritüre?“

Berlin (taz) – Mit der Dampfmaschine fing alles an. Es folgten: Webmaschine, selbstfahrende Personendroschke (ohne Pferd), Eisenbahn, Flugmaschine, Radio, Atomkraft. Dann Demokratie, Fernsehen, Schachcomputer, Wärmflasche mit Fellbrüsten. Zum Schluß Geldautomat, Mobiltelefon und Zahnbürste auf Beinen. Schön und gut. Wir müssen wohl damit leben. Aber folgendes geht eindeutig zuweit:

„Eine gute Nachricht für alle Pommes-frites-Fans. Pommes müssen nicht mehr im Fett schwimmen, bevor sie auf den Teller kommen. In eloma airfrit werden tiefgekühlte Pommes frites mit heißer Luft durchgewirbelt und gegart. Weil kein zusätzliches Fett eingesetzt wird, kann der störende Fettgeruch gar nicht erst aufkommen.“

Kein störender Fettgeruch? Wat ist denn dat für eine Fritüre? (Egmontix der Menapier in: „Asterix bei den Belgiern“, S. 25). Als wir loszogen, die Dame Tanja, Herr Krähe und ich, die angekündigte Teufelsmaschine auf der Berliner „Grünen Woche“ persönlich in Augenschein zu nehmen und zu testen, beseelte uns ein Kulturpessimismus, der seinesgleichen lange hätte suchen müssen in zivilisierten Ländern. Waren nicht traditionell zubereitete Pommes ein fester Eckpfeiler unseres kulinarischen Weltbildes gewesen? War uns das in Fett getauchte Kartoffelstäbchen nicht das, was dem jungen Proust sein in den Tee getunktes Madeleine-Törtchen? Nur daß nicht Tante Leonie in unserer Erinnerung erstand, uns ungekannte Glücksgefühle zu bereiten, sondern das Bild von „Mayonnaisen- Jane“ und „Wer-bekommt's“ – dem vom Bielefelder Volksmund so getauften Besitzerehepaar der schulnahen Imbißbude? Es war!

Gab es darüber hinaus nicht erhebende, bewußtseinsprägende Momente in unserem Leben, die unwiderruflich beruhten auf der grandiosen Erfindung von Kartoffeln? Kartoffeln? Fritiert... Kartoffels frites! (Stellartoix der Nervier) um 50 vor Christus im römisch besetzten Belgien? Momente wie den im Wallfahrtsort Lourdes, als wir während einer Pyrenäentour feststellen durften, daß Frittenschmieden nicht überall in der Welt so profan titeln wie Krasselts Imbiß, sondern auch als Pommesbude zum blutenden Herzen Jesu respektive Pommesbude zur Unbefleckten Empfängnis heiligmäßige Portionen vertreiben? Es gab!

Und kann man sich überhaupt Susan's Imbiß vorstellen, in dem Susan die Arbeiter der umliegenden Bleiakkumulatorenwerke gern mit der Aufzählung am Vorabend konsumierter Alkoholika unterhält – „Jestern fünf Flaschen Schaumwein gehabt... – Susan's Imbiß also ohne atemraubende Fettschwaden in der Luft? Man kann nicht!

Und so schlichen wir über die „Grüne Woche“, nahmen hier betrübt an einer Probe rumänischen Blauen Spätburgunders teil, hörten dabei geknickt einen Weinvertreter die Leute am Nachbartisch anfahren (Nicht süß genuch oder was?!), testeten dort verzweifelt etwas ungarischen Gewürztraminer und zukunftsängstlich noch 89er spanischen Carbonica, 93er Crianza sowie traurig-trockenen Weltschriesling. Dann fortschrittsenttäuscht Niersteiner Schoppen (Erzeugerabfüllung) und völlig utopieunfähig bolivianischen Pflaumenschnaps.

An den eloma airfrit, den wir schlußendlich in Halle 23, Stand 16A fanden, erinnert sich keiner von uns mehr genau. Wozu auch, die Pommes waren genauso fettig wie anderswo. Kartoffeln verfügen allem Anschein nach über einen ausreichenden Eigenfettanteil. Mit Weizenbier vom gleichen Stand feierten wir ausgiebig den Sieg der Natur über gewissenlose Technokraten. Martin Sonneborn

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