Weltexklusiv für taz: Das Tagebuch des Klaus Wowereit
2011 wird ganz spannend für Klaus Wowereit. Uns ist es gelungen, schon im Voraus intime Einblicke ins Tagebuch von Berlins Bürgermeister zu nehmen. Lesen Sie selbst.
01. 01. 2011 Liebes Tagebuch! Sie werden es nicht glauben, mit was für einem Schädel ich heute Mittag aufgewacht bin. Ich muss Silvester an die fünfzig Damenschuhe Schampus geschlabbert haben. Jetzt steht mir die Pilzsuppe bis Oberkante Unterlippe. Und dazu beginnt auch noch das Wahljahr.
Doppelt schlimm: Statt der üblichen sich selbst zerstörenden Knalltüten von der CDU habe ich mit der Künast diesmal sogar eine echte Gegenkandidatin. Die Töle wird mir alles abverlangen. Ich hab zwar weiterhin nicht den geringsten Bock zu regieren, aber Bürgermeister wollte ich eigentlich schon gern bleiben. Blödmist. Ach, ich geh besser mal in die Küche und mach mir etwas Leichtes und Bekömmliches - das wird mich von meinem Schmerz ablenken: eine Charlotte Lorraine (250 g Löffelbiskuits, zwei Gläser Schattenmorellen, 1 kg Quark, 500 g Crème fraiche, Zucker, Honig, Kirschwasser), mjam, mjam.
01. 02. 2011 Meine Güte, liebes Tagebuch, jetzt ist es fast schon wieder so verschneit und glatt da draußen wie im vorigen Winter. Was tut man denn da? Die Künast würde das Zeug wahrscheinlich wegschippen, in ihrem blinden Aktionismus. Aber ich kann das doch nicht machen, wie sieht das denn aus, ich bin doch der Bürgermeister.
"Wir sind hier nicht in Haiti", habe ich vor einem Jahr gescherzt, als sich die Leute beschwert haben, dass nicht geräumt war. Über den Spruch haben die Zuckerpüppchen dann natürlich ebenfalls gemault, aber was kann denn ich dafür? Bin ich Gott, bin ich Frau Holle, bin ich Kachelmann? Der Winter ist nun mal kein Wetter für Behinderte.
01. 03. 2011 Und jedes Jahr wieder dieses Geheul wegen der S-Bahn. Sehe ich aus wie der Verkehrssenator? Ich kann mich nicht um jeden Scheiß kümmern, immerhin bin ich mit Alfred Biolek befreundet. Also, wenn ich nicht so eine Schafsgeduld hätte, würde ich ja einen dermaßen geharnischten offenen Brief an die Berliner Bürger schreiben: "Sehr geehrtes Jammerpack …" Sollen sie doch alle mit dem Auto fahren, so wie ich und der Jörg. Mercedes, Audi, BMW - immer schön warm bei Regen und Schnee. Geil, das reimt sich.
Die Meckerfritzen werden sich sowieso noch umgucken: Die Künast würde die Autos doch außerhalb des Berliner Rings verbannen, bei Tempo 30 auch auf Autobahnen, und überall sechzehnspurige Radwege einrichten, mit Rolltreppen für die Kröten. Das ist ihr anscheinend wichtiger als unser schöner neuer Großflughafen. Nach Indien zu trampen ist für solche Leute offenbar noch immer der normale Weg.
01. 04. 2011 Sorry, wegen dem Eselsohr, liebes Tagebuch, aber ich habe mich heute so über die statistischen Taschenspielertricks der Presse geärgert: Ich wäre in der Beliebtheitsskala von Forsa hinter Kreti, Pleti und Körting auf Platz vier abgestürzt, und das sei ein Beweis für den absteigenden Ast, auf dem ich angeblich sitze. Du lieber Schwan! Nur Platz vier von schätzungsweise sieben Milliarden (?) Menschen. Ich wette, das Luxusproblem hätten viele gerne. Nicht zuletzt die Künast, "la vache qui rit" - mit ihrem übereifrigen Politikgetue kann die doch sowieso keiner leiden.
01. 05. 2011 Ich kann diesen Quatsch nicht mehr hören: Ich sei beratungsresistent und würde mich nur auf Premierenpartys herumtreiben. Als wenn das nicht wichtig wäre, liebes Tagebuch. Ich muss doch die Stadt vertreten, wie sie ist: "Be World, be Berlin, be Prost!" Berlin ist so irre interessant. Die Off-Kultur ist unser Kapital, deshalb kommen die Leute aus der ganzen Welt hierher: die Fashion-Week, die Bread and Butter, Berlinale, Moskauer Staatsaffentheater.
In der Off-Kultur bin ich praktisch zu Hause. Da brauchen mir jetzt nicht auch noch irgendwelche Penner zu kommen und zu sagen: "Aber Herr Wowereit! Das SO36! Der Schokoladen in der Ackerstraße!" Ich kenne keinen Schokoladen, ich kenne keine Ackerstraße und ich will mit so einem Dreck auch in Zukunft bitte nicht belästigt werden. Die Künast soll ja ein Herz für struppige Zausel haben. Zum Glück schaffen die es eh nicht bis 18 Uhr ins Wahllokal.
01. 06. 2011 "Berlin ist wie Athen": Das hat schon meine gute alte Freundin Nana Mouskouri gesagt. Hier Ratten nach Berlin, dort Eulen nach Athen tragen. Hier der Görlitzer Park, dort die Akropolis. Hier Klaus Wowereit, dort Nana Mouskouri. Ach Nana, wie ich dich vermisse, gerade jetzt. Deine Musik, dein Lachen, deine Freundschaft mit Harry Belafonte. Unvergesslich der Moment, wie du in meinem Büro im Roten Rathaus auf einmal aus dem Ledersofa hochspringst, dass die Stützstrümpfe knattern, und schreist: "Ich glaube, ich muss Harry anrufen und sagen: 'Siehst du, jetzt ist der weiße Mann nicht mehr an der Macht!'" Was wolltest du eigentlich damit sagen, Nana? Oder wissen Sie das vielleicht, liebes Tagebuch?
01. 07. 2011 Beim Einschlafen letzte Nacht musste ich plötzlich an die Sabine denken. Damals in der Schule. Wir haben getanzt und geknutscht. "Nights in White Satin". Trotz der späten Stunde bin ich noch mal aufgestanden, zum Bücherregal gegangen und habe meine Gedanken in meinen Memoiren nachgeprüft: Es stimmt. "Cos I love you, yes I love you, oooh ooohh, aaahh, aaah, yeah …" Toll. Natürlich hätte es statt der Sabine genauso gut die Renate sein können. Die ist ja ebenfalls blond. Aber wahrscheinlich hätte die gemerkt, dass ich schwul bin - der kann ja keiner ein X für ein U vormachen. Leider, genau das ist ja das Problem.
01. 08. 2011 Liebes Tagebuch, die Prognosen sind grauenvoll. Fuck, ich bin doch der Freund von Alfred Biolek! Aber die Künast wird als frisch, energisch und tatkräftig hingestellt, sogar in der ARD: "Berliner Schnauze gegen alternden Partykönig". Zuerst wusste ich gar nicht, wer da nun wer sein soll, aber meine Berater haben es mir gesteckt. Dabei lügt die Künast selber wie gedruckt: Hunderttausend neue Jobs will sie schaffen. Für Berlin. Das ist doch, wie in der Hölle hunderttausend Kühlschränke einzubauen. Oder sie ernennt hauptberufliche Baumpaten. Dann könnte es klappen.
01. 09. 2011 In gut zwei Wochen ist die Wahl. Am besten freunde ich mich schon mal mit meiner Niederlage an. Hat ja auch ihr Gutes: nie wieder eklige Currywurst in ekligen Schulkantinen mit diesem ekligen Neuköllner Bezirksbürgermeister, Bukowski oder so. Nie wieder vor einer Unterschichtenmeute aus Trinkern und Schulversagern simulieren müssen, dass man sich für ihre Probleme interessiert und sie für Menschen hält. Nie wieder Grottenkicks im Olympiastadion, nie wieder Grüßaugust beim CSD. Die Künast wird sich noch wundern, was sie sich mit dem Job da für ein Ei ins Nest legt. Ich finde übrigens, wir können uns langsam mal duzen, liebes Tagebuch, jetzt ist es doch auch schon egal. Also, ich bin der Klaus - und du, heißt du wirklich Moleskine? Das ist ja hübsch.
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