: Weltbank in Chile gescheitert
■ Im Weltentwicklungsbericht 1987 schildert die Weltbank ihre gescheiterte Chile–Politik / Die taz dokumentiert Auszüge
An den Fehlern der in den siebziger Jahren unternommenen Reformversuchen in Chile lassen sich einige wichtige Fragen darstellen, mit denen Regierungen konfrontiert werden, die eine Liberalisierung des Finanzwesens anstreben. Chile begann seine Reformen auf dem Hintergrund jahrelanger Belastungen der Wirtschaft durch Importsubstitution und Preiskontrollen. Große Haushaltsdefizite, durch Produktionsfördermaßnahmen enstanden, festgesetzte Wechselraten und Importbeschränkungen hatten zu chronischen Problemen mit der Zahlungsbilanz und langsamem Exportwachstum geführt. Die Reformen hatten zwei Ziele: die hohe Inflation zu stoppen und die Regierungskontrolle über weite Sektoren des Wirtschaftslebens zu reduzieren. Das erste Ziel wurde erreicht, indem das Haushaltsdefizit abgebaut, die Abwertungsrate verlangsamt wurde. Das zweite Ziel ging man an mit der Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungsunternehmen, der Rückführung der verstaatlichten Unternehmen in private Hand und durch die Aufhebung der Preis– und Zinssatzkontrollen. Der weitestgehende Eingriff betraf den Finanzsektor. Vor diesen Reformen waren (...) negative Realzinsraten die Regel gewesen. Unmittelbar nach den Reformen kletterten die realen Zinssätze auf 127 Prozent Jahreszins und pendelten sich in den folgenden Jahren auf ungefähr 44 Prozent ein (...) Verteuerungen infolge einer steigenden realen Wechselrate des Peso gegenüber dem Dollar belasteten exportfähige Firmen zum Ende der siebziger Jahre (...) Die Krise gipfelte mit der internationalen Rezession 1982: Auslandsanleihen gingen scharf zurück, Kapitalflucht setzte ein (...) und die Regierung war zur Abwertung des Peso gezwungen. Mehrere Unternehmensgruppen und Banken gingen bankrott und mußten von der Regierung aufgefangen werden. 1983 betrug die Arbeitslosenrate schließlich 30 Prozent. Ironischerweise lag der größte Fehler der chilenischen Finanzreform darin, daß sie zu weit ging. Es mangelte offenbar an einer effektiven Aufsicht über den Finanzsektor (...) Die meisten Institute des Finanzwesens waren von Industrie–Finanzkonsortien aufgekauft worden, die diese Kapitalquellen dazu nutzten, vormals verstaatlichte Firmen zu erwerben (...) Viele der reprivatisierten Unternehmen mußten diese frischen Kapitalquellen einsetzen, um (...) zu modernisieren und expandieren. Als die realen Wechselraten stiegen, wurde eine große Zahl dieser Firmen unpro– fitabel und mußten weitere Verschuldungen inkaufnehmen, um überleben zu können. Drei wichtige Lehren können aus der chilenischen Erfahrung gezogen werden: 1.Finanzreformen müssen von strikten Kontrollmaßnahmen des Banken– und Finanzsektors begleitet werden (...) Regierungen müssen besonders auf die Aktivitäten von Konsortien achten, die wichtige Segmente der Industrie beherrschen (...) 2. Das Öffnen des Kapitalmarktes, bevor Finanzreformen abgeschlossen sind, provo– ziert einen destabilisierenden Kapitalfluß. 3. Es ist wichtig, eine realistische Politik in bezug auf die Wechselrate zu führen (...)
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