: „Weltbank-Druck hat Sinn“
Gespräch mit „Lula“ da Silva, brasilianischer Gewerkschafter und Präsidentschaftskandidat der Arbeiterpartei, über die drohende Vernichtung des brasilianischen Regenwaldes ■ I N T E R V I E W
taz: Wie bewerten Sie die Eingriffe in den brasilianischen Urwald?
Da Silva: Das dort begangene Verbrechen wird im Namen eines falsch verstandenen Fortschritts begangen, der unserer Gesellschaft keinen Vorteil bringt. Wir müssen diesen Wald schützen. Noch schlimmer als die Zerstörung der Flora und Fauna im Urwald ist das Eingreifen in das Indianerland. Aber die Region kann auch nicht so bleiben, wie sie ist. Ich bin der Meinung, daß Brasilien das Amazonienbecken nutzen sollte. Amazonien muß entwickelt werden, aber es braucht eine Entwicklung, die verträglich ist mit der Erhaltung der Umwelt und des Urwalds.
Notwendig ist eine genaue Ermittlung der Reichtümer des Landes und des Bodens. Die Brandrodung des Waldes zur Gewinnung von Ackerland muß gestoppt werden. Es gibt zwar neuerdings ein gesetzliches Verbot, aber wir müssen dafür sorgen, daß dieses auch befolgt wird. Derzeit hat unsere Regierung einfach nicht die Mittel, der Zerstörung Amazoniens Einhalt zu gebieten.
Brasilien hat sich um einen 500-Millionen-Dollar-Kredit der Weltbank zum Bau von Wasserkraftwerken bemüht. Halten Sie diesen Kredit für notwendig, auch um den Preis der Zerstörung des Regenwalds?
Brasilien benötigt mehr als die 500 Millionen Dollar von der Weltbank, um den Energiesektor aufzubauen. Aber auch die Energiepolitik muß umweltverträglich sein. Wir sind davon überzeugt, daß solche Monster inmitten des Urwalds das Energieproblem nicht lösen. Unser Vorschlag ist, viele kleine Wasserkraftwerke zu bauen anstatt eines Riesenwasserkraftwerks, das ja auch auf die sehr aufwendige und teure Elektrizitätsübertragung über große Entfernungen herausläuft.
Die Weltbank hat den Bau eines weiteren Atomkraftwerks in Angra als unwirtschaftlich abgelehnt. Akzeptieren Sie diesen Druck durch die Weltbank, der die brasilianische Souveränität in der Energiepolitik einschränkt?
Der Druck hat Sinn, wenn die Geldgeber auch überwachen, daß diese Kredite im Einklang mit der Umwelt investiert werden. Wir sind der Ansicht, die brasilianische Energiepolitik ist fehlerhaft, haben aber unsere eigene Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen; einige in der Partei halten die friedliche Nutzung der Atomenergie für sinnvoll, andere lehnen sie grundsätzlich ab. Das damalige Abkommen über den Bau von Atomkraftwerken ist immerhin zu großen Teilen die Ursache der heutigen Verschuldung Brasiliens. Wir waren gegen das Abkommen und sind der Ansicht, daß wir in eine andere Art Energie, in eine menschliche Energie investieren sollten: in die Landwirtschaft, in die Bildung der Bevölkerung. Der Druck gegen die Energiepolitik kommt jetzt von der Weltbank, von verschiedenen Ländern. Er hat sich besonders verstärkt seit dem Tod von Chico Mendes. Wir wissen, daß es auch hier in Europa Alternativbewegungen gibt, die viel Druck machen für die Erhaltung der Tropenwälder. Die politische Situation ist insofern günstig für Brasilien. Wir sollten sie nutzen, um eine Entwicklungspolitik für Amazonien auszuhandeln. Es wäre klug, wenn die brasilianische Regierung eine solche Initiative ergreifen würde.
Sehen Sie noch Chancen, die Zerstörung des Regenwaldes aufzuhalten?
Wir brauchen für Amazonien eine wirtschaftliche Entwicklung einerseits und Erhaltung der Regenwälder andererseits, also eine umweltverträgliche Entwicklung. Ich könnte mir vorstellen, daß dazu entscheidende Beiträge von den entwickelten Ländern kommen können, ohne daß die brasilianische Regierung Gefahr läuft, ihrer Souveränität verlustig zu gehen.
Interview: Gerd Nowakowski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen