■ Normalzeit: „Welcome to Elstal...“
...meinte der Bürgermeister des Reichsbahnortes an der B5 Berlin Richtung Nauen, dem ein Verwaltungsgericht gerade das Olympiadorf zuschlug. Der Lokalpolitiker hielt seine Rede anläßlich der Grundsteinlegung des neuen Theologischen Seminars des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (BEFG) in der Elstaler Kirschstein-Siedlung, die ebenso wie das Olympiadorf zuletzt von der Roten Armee genutzt worden war. Obwohl die etwa 500 Zuhörer der Rede mehrheitlich Deutsche und Russen waren, verstand man sein englisches Willkommen: Die Baptisten, heute die größte Christengemeinde der Welt, nach den Katholiken, kamen 1875 als amerikanische Missionare – mit einem Rockefeller-Scheck – nach Deutschland. Nachdem man sie – als kommunistisch-urchristlich inspirierte Wiedertäufer – von hier vertrieben hatte. Noch die auf dem Grundsteinlegungs-Gottesdienst – im Festzelt neben der „Haus Abraham“ genannten Baubaracke – von Baptismus- Studenten gesungenen Choräle waren sämtlichst amerikanisch: „Oh happy day. Oh happy day. Oh happy day.“
Der allzu optimistische Solist mit Ohrringen ging mir dementsprechend auf den Wecker. Noch peinigender war nur ein original- amerikanischer Baptist, der täglich auf dem Marktplatz vor dem Kaufhaus von Irkutsk mit seinem Dolmetscher den Sibirjaken Jesus predigte. Der Gründer der BEFG, Oncken, hatte schon 1880, bei der Gründung des ersten Seminars in Hamburg, gemeint: „Unter den Deutschen und Russen ist ein gutes Missionsfeld!“ Und besonders reiche Ernte verspricht man sich natürlich heute auf dem vom gottlosen Kommunismus geräumten Acker („Pflüget ein Neues!“): In Sibirien ebenso wie in Brandenburg, wo es bis 1991 ein zweites Seminar in Buckow gab. Auch das in Hamburg wird geschlossen, wenn das neue in Elstal für etliche Millionen Mark und mit Bruderhilfe aus Moldawien und Belorußland seinen Lehrbetrieb aufnimmt.
Für den Umbau ist unter anderem die Architektin Helene Abtahi verantwortlich, die Neubauten entwarf der dänische Architekt der Sidneyer Oper, Utzon. Es ist ein schöner Entwurf: Die 19 alten Reichsbahnhäuser werden Studentenwohnheime, dahinter am Hang entstehen Seminarhäuser, davor Behindertenwohnheime und eine Aula, die zugleich dem Gottesdienst und dem Sport dient. Neben der Kirschstein- Siedlung gibt es noch zwei weitere Areale auf dem riesigen Kasernengelände der Roten Armee, die demnächst privat entwickelt werden – von einer Münchener Firma.
Eigentlich müßte der Ort Elshöhe heißen, denn im Tal liegt nur der riesige Verschiebebahnhof Wustermark, der 1987 sogar noch vergrößert werden sollte, mit der Wende aber nach Berlin verlegt wurde. Die Eisenbahner- und Wehrmachtssiedlung verlor damit und erst recht dann mit dem Abzug der Roten Armee ihre Existenz-Erlaubnisgenehmigung. Die wenigen Läden gingen großenteils ein, weil in Dallgow ein riesiges Einkaufszentrum entstand. Der BEFG-Bundesdirektor Schaefer zitierte in seiner Rede Oliver Cromwell: „Vertraut auf Gott und haltet euer Pulver trocken.“ – Denn: „Wo die Hoffnung über den Zweifel siegt, da ist eine prima Sache!“ Mir gefiel ein von ihm bemühter Psalm am besten, der irgendwie nicht recht zur Grundsteinlegung passen wollte: „Es ist umsonst, daß ihr früh aufsteht und danach lange sitzt, den Seinen gibt's der Herr im Schlaf.“ Für Oncken war „jeder Baptist ein Missionar“, und konkret waren die meisten wandernde Handwerker. Das ist sympathisch, aber als müßiggängerischer Kommunist („Klassenhetze vor Artenschutzgesetze!“) sehe ich diese „Fünfte Kolonne“ von Thomas Müntzer und Rockefeller im Speckgürtel Berlins eigentlich mit Bangen derart „Hoffnung säen“. Besser gefiele mir: „Du hast keine Chance, nutze sie!“ Helmut Höge
wird fortgesetzt
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