: Welches Gesicht ist für uns besser?
■ Der DFB läßt zu, daß Jürgen Klinsmann weggebissen wird - und Lothar Matthäus positioniert. Gut so? Die taz fordert ein Plebiszit
Der DFB hat seinem langjährigen Kapitän Jürgen Klinsmann ein Abschiedsspiel verweigert – was soll's? Das hat bei ihm, ehemaligen Kollegen und in relevanten Teilen der deutschen Bevölkerung zu Unwillen geführt – na und?
Nix, na und: Es geht nicht um die Frage, ob Klinsmann sein Spiel bekommt oder nicht, sondern darum, was die Entscheidung bedeutet – nämlich Klinsmanns Antipoden Lothar Matthäus als vierte Vorzeigefigur des deutschen Profifußballs zu installieren. Die taz deckt die Sache auf, ohne sie gleich eine Verschwörung zu nennen.
Der Fußball in Deutschland wird im wesentlichen über drei Spieler erklärt: Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer. Alle drei führten das DFB-Team als Kapitäne über einen wesentlichen Zeitraum und in ein WM-Finale. Sie wurden zur Kenntlichmachung ihrer Funktion als Vorzeigerepräsentanten des Deutschen Fußball- Bundes zu sogenannten Ehrenspielführern ernannt.
Über die Qualität des Fußballs der 90er Jahre kann man geteilter Meinung sein, tatsächlich hat das Jahrzehnt dem Verband zwei Erfolge beschert, den WM-Titel 1990, und den EM-Titel 1996. Kapitän der WM-Elf war Matthäus, Kapitän der EM-Elf Klinsmann.
Die Frage steht seit einiger Zeit im Raum: Wer von beiden wird die Symbolfigur, über die die kollektive Erinnerung gelenkt wird? Also der vierte Ehrenspielführer? Der DFB hat jetzt eine Antwort gegeben – oder zugelassen.
Sechs Leute sitzen im Präsidium, aber: „Es sind ja nur drei Leute maßgebend: Egidius Braun, Franz Beckenbauer und Mayer- Vorfelder“, sagte Klinsmann der Welt. Seine Annahme: „Wenn nur einer von den dreien gesagt hätte, ,Okay, Jürgen hat das verdient‘, dann wäre das durchgegangen.“ Die Herren versteifen sich aber darauf, dem Rekordnationalspieler Matthäus bereits 1995 ein Abschiedsspiel zugesagt zu haben und es damit für alle Zeiten bewenden zu lassen. Klinsmann schlug man vor, er solle sich „im Vorfeld der Euro präsentieren“ lassen, mit anderen verdienten Profis. Der ständige Verweis auf „Beschlüsse“ und darauf, Mitläufer wie Kohler und Häßler könnten aus einem Klinsmann-Spiel eigene Ansprüche ableiten, soll suggerieren: Matthäus ist einzigartig, Klinsmann einer von vielen.
Das Ganze mag einige banale Gründe haben. Etwa den, daß Matthäus dem DFB tief hinter der Abwehr stehend noch mal zur EM helfen soll, während Klinsmann sich aus dem Spiel und nach Los Angeles zurückgezogen hat. Es zeigt aber hauptsächlich, wer beim DFB etwas und wer nichts mehr zu sagen hat. Anders ist es selbst für Branchenkenner schwer nachzuvollziehen, warum DFB-Vize Gerhard Mayer-Vorfelder, Präsident des VfB Stuttgart, sich nicht für den langjährigen Weggefährten verwendet hat. Und warum der nominelle Chef Braun trotz persönlicher Zusage in der Sitzung den Mund nicht aufbekam – und danach offenbar so beschämt war, daß er seinen langjährigen Helfer nicht einmal anzurufen wagte.
Die Supermacht heißt Franz Beckenbauer – und daß die spätestens seit Klinsmanns Abschied von Bayern München („vielleicht bin ich dem Franz zu sehr auf die Füße getreten“) auch persönlich eher zu Matthäus (FC Bayern) tendiert, ist kein Geheimnis. Darüber hinaus kann die Achse Bild–Beckenbauer–Matthäus damit geschlossen für die angeschlossenen Unternehmen (adidas, Kirch, Springer, Bertelsmann) die extrem wichtige WM-Bewerbung 2006 angehen.
Der verärgerte Klinsmann wird sein Spiel selbst organisieren, sich aber kaum noch von Braun – wie ebenfalls geplant – als WM-Botschafter einspannen lassen.
Daß diese Unternehmen ihre Interessen vorantreiben, ist verständlich. Die Frage ist aber nicht nur: Tut der DFB sich einen Gefallen? Die Frage ist: Will Deutschland, daß Matthäus zur Rechten vom Fritz und Franz und Uwe sitzt? Und mit ihnen nicht nur adidas, sondern das Land in der Welt repräsentiert? (Um das letzte Hindernis aus dem Weg zu räumen, hat Matthäus im Zuge seiner Neupositionierung durch ISPR eigens seinen langjährigen Vertrag mit Puma gekündigt.)
Ein Plebiszit über diese Frage ist rechtlich gesehen nicht herbeizuführen. Nichtsdestotrotz hat die erfolgreiche Initiative gegen die Rechtschreibreform in Schleswig- Holstein gezeigt, wie weit die Basis kommen kann. Und was ist Rechtschreibung gegen die letzte große Frage des Millennimus: Soll Matthäus Land und Fußball sein Gesicht geben und Ehrenspielführer werden? Oder doch besser Klinsmann? Eine überwältigende Initiative der Bevölkerung könnte den DFB vor vollendete Tatsachen stellen. Entscheiden Sie jetzt. Peter Unfried
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