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Weiß–Blau–Bayern grün gefleckt

■ Grüne im Landtag / Bayern keine Diaspora mehr / Bittere Schlappe für die königlich–bayerische SPD

Jubel auf der grünen Seite, Bitterkeit und Tränen bei den Sozialdemokraten, saturierte Arroganz der herrschenden Bayernpartei: Die Freude über den grünen Einzug ins Münchner Maximilianeum wird mit dem Wermutstropfen des nach wie vor gefestigten „konservativen Blocks“ aus CSU und deren Rechtsableger, den sogenannten Republikanern, getrübt. Gleichwohl weist das Wahlergebnis weit über Bayerns Grenzen hinaus. Strauß Monopol auf ein ordentliches Bavaria ist gebrochen, und die Grünen sind für den Wahlgang imJanuar bestens gewappnet, sofern die Bundespartei aus dem Erfolgskurs ihrer südlichen Dependance Kraft und Kreativität gewinnt. Einzig die SPD steht als der wirkliche Verlierer da. „Ich setze aufs Ganze“, versucht Kanzlerkandidat Rau dennoch dem kalten alpenländischen Wind zu trotzen. Will er weiterhin ernst genommen werden, wird er allerdings seine Abstinenz im rauhen Schützengraben gegenüber den Grünen mildern müssen.

Bitte oben um eine, unten um zwei Zeilen beschneiden München (taz) - Kurz vor 18 Uhr vergewissern sich einige grüne Wahlkämpfer noch einmal, ob sie auch wirklich alles Nötige getan haben. Sie sind beruhigt: in der Nacht von Freitag auf Samstag wurden allein im Münchner Stadtgebiet noch einmal 9.000 Plakate geklebt, die die CSU–Anwürfe im letzten Augenblick kontern konnten. Und in allen wichtigen Zeitungen des Landes hatten die Grünen gewissermaßen das letzte Wort, denn sie konnten am Tag vor der Wahl noch auf die am Freitag geschalteten Hetz–Anzeigen der CSU antworten. Draußen vor der Stadt, in der Theaterfabrik Unterföhring, haben sich am Wahlabend fast 700 Grüne und ihre Freunde versammelt. Als kurz nach 18 Uhr die ersten Prognosen auf dem Riesen–Bildschirm über der Bühne erscheinen, reagiert man noch verhalten. Nach der ersten Hochrechnung, die bereits eine kräftige 13köpfige Fraktion errechnet hat, herrscht noch so etwas wie ungläubige Stille. Der Jubel bricht erst los, als das Fernsehen in die Theaterfabrik umschaltet und erste Stellungnahmen vom Landesvorstand einholt. Die Grünen sind in Bayern auf Landesebene da, und zwar satt. Um 18.45 Uhr wird erstmals auf 15 Mandate hochgerechnet. Der Saal tobt. Der Sekt fließt in Strömen und spült auch viel Ärger über die Behandlung hinunter, die sich die Grünen von allen anderen Parteien hatten gefallen lassen müssen. Alles liegt sich in den Armen, der fleißige Wahlkämpfer Carl Amery schwenkt begeistert eine Dame im Dirndl, die Choo Choo Aero Big Band bringt einen Tusch nach dem anderen aus. Während MdB Axel Vogel strahlend jeden Kommentar verweigert (“Ich will erst mal richtig feiern“), halten sich die künftigen Abgeordneten bereits mit kühlem Kopf bereit. „Wir sind gewappnet“ Armin Weiß, Professor für anorganische Chemie in München und das wissenschaftliche Rückgrat der Anti–WAA–Bewegung, kündigt eine faire, in der Sache äußerst harte Oppositionspolitik „und mindestens zwei Untersuchungsausschüsse in Sachen WAA“ an. Marianne Rothe, Spitzenkandidatin im Bezirk Schwaben und von Beruf Hauswirtschaftsoberrätin, spricht aus, was alle Kandidaten meinen: Sachlichkeit und Beharrlichkeit hätten sich im Wahlkampf ausgezahlt. Die Wähler hätten Schlagworte einfach satt. Über das, was im Landtag von Seiten der Christlich– Sozialen auf sie zukommen könnte, machen sie sich keine Illusionen. Marianne Rothe, die Beamtin, die über das Frauenwiderstandscamp im Hunsrück zur Politik kam, hat sich vorbereitet: „Ich habe Bundestagsprotokolle gelesen. Die Herrschaften finden uns gewappnet.“ Außerdem sind die künftigen MdLs von ihren kommunalpolitischen Erfahrungen her einiges an harten Tönen gewöhnt - auch von der SPD, die mit Ausnahme der Nürnberger Genossen nirgendwo Wert auf eine rot–grüne Zusammenarbeit legt. Die Quittung für diese auch im Bundestagswahlkampf gefahrene Strategie hat nach Ansicht von Bundesvorstandssprecher Lukas Beckmann die SPD jetzt bekommen. Noch einmal tanzt der Saal nicht etwa zur Musik, sondern vor Begeisterung. Die ersten Städte–Ergebnisse werden durchgegeben: in katholischen Hochburgen wie Bamberg, Regensburg und Würzburg liegen die Grünen bei über neun Prozent. In München sind die Grünen doppelt so stark wie bei den letzten Landtagswahlen. Die 13,3 Prozent schreiben die sämtlich anwe senden grün–alternativen Stadträte dem mit vor allem schwarz– roten Mehrheiten arbeitenden SPD–Oberbürgermeister Kronawitter zu. „Die Art, wie man versucht hat, uns an die Wand zu drücken und zu ignorieren, hat sich nicht ausgezahlt“, kommentiert die einzige grüne Rätin Sabine Csampai–Boettge. Der von der SPD verursachte Frust, der grüne Politik in den letzten Jahren ständig begleitet hat, ist auch die Ursache für den ungebrochenen Jubel. Niemandem in der Theaterfabrik ist das Ergebnis der Republikaner entgangen; der Machtwechsel, den die SPD in Bayern wieder denkbar hat machen wollen, ist in utopische Ferne gerückt; 67 Prozent der bayerischen Wahlberechtigten würden Strauß zum Ministerpräsidenten wählen, wenn sie das direkt könnten. Sieger ist der konservative Block Der konservative Block ist aus diesen Wahlen unangefochten als Sieger hervorgegangen,und das ist allen schmerzlich bewußt. Mit einem Super–Ergebnis von fast 19 Prozent Erststimmen ist die Feministin Margarete Bause im Stimmkreis München–Schwabing gewählt worden. Sie führt das zum einen auf die Arbeit der Münchner Stadträte zurück. An Profil hat die Frauenreferentin des Landesverbandes aber vor allem in der § 218–Debatte gewonnen: „Das hat mir auch Stimmen von autonomen Frauen eingebracht, die sonst wohl kaum zur Wahl gegangen wären.“ Das Abschneiden der Grünen in München hat dazu geführt, daß alle Direktmandate an die CSU gegangen sind und verdiente SPD– Linke wie der Schwabinger Bildungs–Fachmann Joachim Schmolcke das Nachsehen hatten. Sie brauchen den Kamillentee, der einem Witz des grünen Pressesprechers Hanns–Dieter Reichhelm zufolge für den Fall der Fälle in der Theaterfabrik bereitgehalten wurde, erst einmal dringender als die Grünen. Ellen Hofmann

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