Weinprobe: Süß war die Jugendzeit
■ Rheinhessen: Eine alte Liebe erwacht zu neuem Leben
Irgendwann ist immer das erste Mal. Früher oder später verliert man weinmäßig die Unschuld, kostet vom süßen Göttertrunk. Mein erstes Mal war in den siebziger Jahren, der Wein aus Rheinhessen: „Niersteiner Gutes Domtal“. Wirklich süß, außerdem schön billig. Doch ach, die Liebe sollte nicht lange halten.
Mußte man doch in politisch bewegten Zeiten internationales Bewußtsein demonstrieren. Das war nicht schwierig, wenn man Rosentaler Kadarka anbot, der kam aus Rumänien oder so, jedenfalls von weit weg. Schließlich will die große Welt erobert werden. Da wird Rheinhessen zum Synonym für provinzielle Spießigkeit und gnadenlos aus dem Eine-Welt-Bewußtsein verbannt.
Später, die Weinkenntnisse wuchsen schon ins Enzyklopädische, labten wir uns an Chianti, den aus diesen rustikalen Anderthalbliterflaschen mit Bastgeflecht untenrum. Ausgetrunken konnte man sie zu fabelhaften Kerzenständern recyceln und auf diese Weise frühen ökologischen Ambitionen Genüge tun.
Zwanzig Lebens- und Weinjahre später dann bekommt man ganz ungefragt einen Beweis für die Theorie, der zufolge das Universum, das Leben und überhaupt einfach alles zyklisch verläuft. In der internationalen Weinpresse liest man plötzlich von – Rheinhessen. Da ergießt sich Robert Parker, seines Zeichens weltweit einflußreichster Weinautor, in Lobeshymnen über einen Wein von einem Winzer namens Wittmann aus Westhofen – auch noch einen edelsüßen: die Trockenbeerenauslese aus der unbekannten (Neuzüchtungs-)Rebe Albalonga, gewachsen in der Lage Westhofener Morstein. 95 Punkte (von 100 maximal möglichen) gab Parker der 1992er. Whom!
Eine Aromabombe auch im 1994er Jahrgang, die einen betörenden Duft nach Honigmelone und Aprikose verströmt, die Zunge fein mit Süße und Säure umspielt, man muß beinahe an wilde Dinge denken, irgendwie wirkt der Saft aphrodisiakisch (75 DM/0,375 l). Diese Rakete jedenfalls knallte Rheinhessen zurück ins Zentrum meines Weinbewußtseins. Desto besser, nicht nur für diese Rubrik, daß die Wittmanns ökologisch wirtschaften. Seit 1990 ist das Gut Mitglied des „Naturland“- Verbands. Und man muß weder das Scheckbuch rausholen noch unbedingter Fan edelsüßer Gewächse sein, um in den Genuß von Wittmanns Weinen zu kommen.
Von den – preislich – normalen Weinen sind derzeit die 1996er im Verkauf. Schon der trockene, sehr helle Rivaner vom Westhofener Rotenstein für 7,50 Mark ist ein angenehmer Wein für alle Tage (Rivaner ist übrigens nichts anderes als Müller- Thurgau). Liebhaber sehr säurebetonter Kreszenzen sollten die trockene Spätlese vom Weißen Riesling (Westhofener Morstein) probieren – kompromißlos trocken, etwa 15 Mark.
Eine Empfehlung aber für Menschen, die mal den Blick über den knochentrockenen Tellerrand wagen wollen, ist die „normale“ Riesling-Spätlese, die Betriebschef Günter Wittmann als seinen derzeitigen Lieblingswein bezeichnet: feiner Apfelduft und ein elegantes Spiel zwischen Säure und Süße (ca. 13,50 DM). Dieser Wein ist überdies viel magenfreundlicher als die ganz trockenen und hat nur 9,5 Prozent Alkohol. Ach, Rheinhessen: Eine alte Liebe erwacht zu neuem Leben! Eberhard Schäfer
Die erwähnten Weine erhält man zu den genannten Preisen bei Bonniés in der Motzstraße 62,
Berlin-Schöneberg,
Telefon 21476990.
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