Weil ein geistig verwirrter Marokkaner eine junge Spanierin erstochen hat, drehen die Bewohner der Kleinstadt El Ejido in der spanischen Provinz Almeria durch: Sie schießen mit Schrotflinten auf Immigranten und zünden deren Häuser an ■ Aus El Ejido Reiner Wandler: Jagdszenen aus Südspanien
„Die haben auf den Koran gepisst“, sagt Hamid. Der junge Marokkaner ist den Tränen nahe. Zusammen mit einem Kollegen hebt er den eisernen, verbeulten Rolladen hoch. Hinter der eingeschlagenen Schaufensterscheibe liegen zertrümmerte Regale zwischen herausgerissenen Teppichen. Eine Gruppe von 20 Marokkanern schaut betroffen auf das Chaos im Ladenlokal. Bis Samstag war hier ihre Moschee. Wenige Stunden nachdem ein geistig gestörter nordafrikanischer Immigrant unten auf dem Wochenmarkt von El Ejido die 26-jährige Spanierin Encarnacion Lopez ausraubte und erstach, kam die Meute. „Mauren raus“, schrien sie und zerstörten den Gebetsraum, eine marokkanische Bar und eine Telefonladen um die Ecke, in dem Immigranten billig in die Heimat telefonieren können.
Jetzt, drei Tage später, will keiner der Nachbarn etwas gesehen haben. „Ich war nicht da“, geben Schaulustige zur Antwort, die aus sicherer Entfernung die wütenden Marokkaner beobachten. Andere schauen schweigend zu Boden. Aus einem der Marokkaner bricht es heraus: „Wenn wir das mit ihren Kirchen machen würden, was glaubst du, was dann hier los wäre.“ Sein hasserfüllter Blick gilt einer Gruppe von spanischen Jugendlichen, die mit ihren laut knatternden Mopeds im Stadtteil Loma de la Mezquita auf- und abpatrouillieren.
Bis Montag abend teilte der 26-jährige Hamid die Begeisterung für die Crossmotorräder, wie sie hier auf dem Land in Südspanien Mode sind. Jetzt liegen die Reste seines Gefährts unter den verkohlten Trümmern einer gemauerten Hütte in der er mit 24 Kollegen nur ein paar Meter außerhalb der Siedlung aus schmucken Einfamilienhäusern wohnte. Die Aluminiumteile des Motors sind zerschmolzen, Dachbalken auf den Rahmen herabgestürzt. Die Türen und Fenster der Hütte, die sich die Immigranten selbst hergerichtet hatten, sind nur noch ein Haufen Asche. „Eine Gruppe junger Spanier lenkte am Montag gegen 19 Uhr die Polizeikette dort oben an der Einfahrt zum Feldweg ab, während ein paar Vermummte sich hier hinten zwischen den Gewächshäusern anschlichen“, erinnert sich Hamid.
Alles ging sehr schnell. Benzin, ein Streichholz, und die beiden einzigen gemauerten Baracken standen in Flammen. „Ich habe hier alles verloren, über 1.000 Mark in bar, meine Klamotten, meinen Pass“, sagt Hamid und stochert dabei mit dem Fuß an einem verrußten Bettrost herum. Noch immer steigen kleine Rauchfahnen aus der Asche auf.
Hamid kam vor vier Jahren aus einem der Elendsviertel von Casablanca auf der Suche nach Arbeit und einem eigenen Einkommen. Zehntausende Nordafrikaner mit der gleichen Hoffnung zog es allein in den 52.000 Einwohner zählenden Ort El Ejido.
Der Reichtum dieser Gegend um Almeria schimmert silbern in der Sonne. Mit Plastikfolie bedeckte Gewächshäuser ermöglichen dank dem guten Klima und dem Wasser aus Tiefbrunnen mehrere Ernten im Jahr. Aus dem ehemaligen Armenhaus Spaniens ist in den letzten 30 Jahren eine der reichsten Regionen der iberischen Halbinsel geworden. Als billige Arbeitskräfte hatten die Einwanderer von der anderen Seite des Mittelmeeres daran einen großen Anteil. 45 bis 55 Mark verdienen sie am Tag.
„40 Grad im Winter, über 50 im Sommer müssen wir in den Gewächshäusern aushalten“, beschreibt Hamid die harte Arbeit. Ein anderer Immigrant sagt es so: „Wir arbeiten unter Plastik und wir wohnen unter Plastik.“ Er hatte weniger Glück als Hamid, der bis zur Brandnacht immerhin in gemauerten Wänden lebte. Zusammen mit ein paar Kollegen hat er sich hier oben, jenseits des Stadtteils derer, die mit der Landwirtschaft reich geworden sind, eine der Dutzend Hütte aus Holz und Abfallfolien gezimmert. 300 Immigranten leben so: ohne Wasser, ohne Strom, mitten im Müll, direkt neben den Feldern auf denen sie arbeiten.
Der Brand in Hamids Hütte blieb nicht das einzige Feuer der Nacht. In Santa Maria del Aguila, 20 Kilometer entfernt, verloren andere Arbeiter ihr Hab und Gut durch Brandstiftung. Vom dem Anschlag zeugt ein kilometerlanger Rauchschleier, der schwer über der Landschaft hängt.
Hinten am Horizont hat er neue Nahrung bekommen: Zwei Recyclinganlagen für Plastik sind die vorläufig letzten Opfer der Flammen geworden. „Das waren die Spanier selbst, um es uns in die Schuhe zu schieben“, sind sich die Immigranten sicher. „Ein Vergeltungsakt der Mauren“, sagt dagegen José Antonio Martinez. Davon sind die Spanier der Gegend überzeugt. „Das wird Folgen haben“, droht der kleine, bärtige Rentner. Er steht zusammen mit seinem Sohn, dessen Frau und einigen Nachbarn vor den Wohnblocks an der Hauptstraße von Las Norias. Aus diesem Stadtteil von El Ejido kam jener Nordafrikaner, der die junge Spanierin Encarnacion Lopez erstochen hat. Tagelang brannten hier die Barrikaden. Abgeschnitten von der Außenwelt machten die Spanier Jagd auf Immigranten. Es gab über 50 Verletzte. Ausgebrannte Autowracks links und rechts der Durchfahrtstraße, eine demolierte Bar und Telefonladen und ein ausgebranntes Export-Import-Geschäft zeugen von der blinden Wut, die sich hier entladen hat.
Jetzt ist wieder Ruhe eingekehrt. Alle hundert Meter steht ein Polizeiwagen, Beamte im Kampfanzug wachen daneben, das mit Gummigeschossen geladene Gewehr im Anschlag.
„Wir sind keine Rassisten“, sagt der Alte. Er war selbst in den 60er Jahren Gastarbeiter in Deutschland und Frankreich. Er wisse was Immigration bedeutet. „Doch wir gingen damals, um zu arbeiten und nicht um zu stehlen und zu morden“, sagt er. Das Problem sei, es gebe einfach mehr Immigranten als Arbeit. Der Tod von Encarnacion Lopez habe das Fass zum Überlaufen gebracht. „Erst vor zwei Wochen wurden in der Gegend ebenfalls von Marokkanern zwei Landwirte ermordet. Und noch etwas: Wir hatten, als wir nach Deutschland gingen, ein Gesundheitszeugnis. Die illegal über das Meer kommen, bringen doch Aids und alles mit.“ Da ist sich Martinez sicher.
Sein kräftiger Sohn, der auch kein Rassist sein will, und dessen Frau verfolgen das Gespräch mit störrischer, abweisender Miene. Für die Verwüstungen seien die Einheimischen von Las Norias nicht verantwortlich. „Das waren Jugendliche aus den Nachbardörfern“, sagt Martinez knapp.
„Lüge, alles Lüge. Die waren alle von hier“, sagt Ali, der Besitzer des ausgebrannten Bazars auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Wir haben die Angreifer erkannt: Der Alte und sein Sohn waren die Anführer. Sie haben sogar mit dem Jagdgewehr auf uns geschossen“, sagt der 20-Jährige und zeigt zum Beweis ein paar leere Schrothülsen. Ali kam vor 15 Jahren mit seinen Eltern hierher. Die meisten Marokkaner auf seiner Straßenseite sind mit ihm verwandt. Die aus Rabat stammenden Familie El Khadifi verkauft Kleidung und Elektroartikel auf den Wochenmärkten der Gegend.
„Drei Tage haben wir die Häuser aus Angst nicht verlassen. Drei Tage ohne Essen“, sagt der Vater einer 7-köpfigen Familie. Er wagt sich heute erstmals wieder ins Freie. „Das ist wie im Krieg“, sagt er und zeigt auf seinen ausgebrannten Lieferwagen. In jener Nacht brachen sie seine Garage auf, rollten das noch neue Fahrzeug auf den Vorplatz und zündeten den Wagen an. Einer will dabei den Sohn des Vermieters erkannt haben.
Die Polizei hat einfach zugesehen, sagen die Opfer in Las Norias. Innenminister Jaime Mayor Oreja versucht das gar nicht erst zu vertuschen. Es sei in erster Linie darum gegangen, direkte Auseinandersetzungen zu vermeiden, Sachschaden habe man billigend in Kauf genommen. „Wie soll das jetzt weitergehen?“, fragen die Opfer. Jaime Mayor Oreja weiß keine Antwort.
Von Schuld wollen die Einheimischen nichts wissen. „Das hat sich die Obrigkeit selbst zuzuschreiben“, sagt Paco. Der junge Metallbauunternehmer ist wie hundert andere vor das Polizeipräsidium gezogen, um die Freilassung der ersten acht Verhafteten Spanier zu verlangen. „Wir wollen einfach nur Sicherheit“, fordert der junge Landwirt José. Es gebe hier einfach nicht genug Arbeit für alle Einwanderer, die illegal übers Meer kommen. „Wir haben heute schon die Probleme, die morgen Nordeuropa erwarten. Die brechen die Autos auf, klauen Arbeitsgerät und Tiere und vergewaltigen unsere Frauen – und die Polizei bleibt untätig“, wiederholt José den Satz, den in El Ejido alle Spanier im Repertoire haben. Aber: „Wir sind keine Rassisten. Wir leben friedlich mit den unterschiedlichsten Menschen zusammen.“ Boris aus Bulgarien stimmt dem zu: „Ich bin Christ, und ich führe mich eben gut auf.“ Um die Harmonie zu untermauern, legt einer der spanischen Jugendlichen seinen Arm um den Bulgaren.
Boris arbeitet tagsüber als Maler, abends und an den Wochenenden als Türsteher in einer Diskothek. Marokkaner wie Ahmed und Schwarze müssen draußen bleiben. „Die wollen uns als Arbeitssklaven, und sonst zu nichts“, beschwert er sich. „Tagsüber auf dem Feld und sich abends bloß nirgends blicken lasse, so hätten sie das gerne.“
Ahmed und seine Freunde sind erst vor wenigen Stunden wieder in ihre kleinen Baracken aus Hohlblocksteinen am Rande der Gewächshausanlagen zurückgekehrt. „Am Samstag kamen sie auf einem Lkw, mit Pistolen, Schrotflinten und Baseballschlägern“, sagt der 25-jährige Landarbeiter. Sie, das waren zwei Dutzend Männer aus dem Dorf, angeführt von den drei Söhnen ihres Arbeitgebers.
Ahmed und seine Leute nahmen Reißaus. Sie versteckten sich drei Nächte lang in den nahe gelegenen Bergen. Ihre Baracken stehen noch. Sie sind Eigentum des Landbesitzers.
Ahmed lebt mit drei Kollegen zusammengepfercht in einem Zimmer von drei mal drei Metern. „150 Mark pro Bett und Monat nimmt der Chef dafür“, sagt er. 60 Prozent der Immigranten in El Ejido geht es nicht anders.
„Beschweren tut sich nur selten jemand“, sagt Mohamed, ein anderer Landarbeiter. Warum nicht? Er zieht seine Hose runter und zeigt auf eine braun-blaue Narbe am linken Oberschenkel. „Eine Pistolenkugel, die mir vor zwei Jahren ein Landwirt verpasst hat“, sagt er. Mohamed hat keine Papiere. Deshalb kann er nicht zur Polizei gehen. Die Wunde musste ohne ärztliche Hilfe heilen.
Wie es jetzt weitergehen soll weiß hier keiner. Mohamed will nicht mehr zur Arbeit zurück: „Sobald die Polizei hier weg ist, schlagen die uns doch tot.“ Er will nur noch weg. Aber das wollte er schon damals, als der spanische Bauer auf ihn geschossen hat.
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