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Weihnachtseinkäufe in der KriseDie Dekadenz fehlt

Von der Rezession ist in den Berliner Einkaufstempeln kaum etwas zu spüren, trotzdem ändert sich das Einkaufsverhalten.

Bei den Berlinern ist bisher keine Krise angekommen. Bild: dpa

Im Berliner Kaufhaus des Westens ist die Welt noch in Ordnung: von Wirtschaftskrise keine Spur. Bepelzte Damen nebst Ehemännern bewegen sich selbstsicher durch die Hallen. Auf der Rolltreppe gleiten elegante Menschen geräuschlos aneinander vorbei. Im fünften Stock, in der Spielzeugabteilung, läuft das Weihnachtsgeschäft gut: "Sie sehen ja selbst, wie voll es ist", sagt der Abteilungsleiter und lacht erleichtert. Zwei russisch sprechende Frauen suchen Stofftiere aus. Eine Großfamilie mit Kindern lässt sich auf einer riesigen Glasvitrine einen interaktiven Dinosaurier vorführen. "Bei uns ist das Weihnachtsgeld da, und das geben wir aus - auch ohne Konsumgutscheine", sagt eine Frau mit kleinem Sohn.

Weiter oben, in den Fresshallen im sechsten Stock, drängen sich die Leute zwischen Karpfen in Aquarien, den Champagnerbars und Austernständen. Nicht alle tragen Einkaufstüten, aber die Tische sind zur Mittagszeit voll besetzt. "Alles gut", versichert ein Kunde in roten Samthosen mit passendem Einstecktuch. Bei ihm sei bisher keine Krise angekommen. Am Spirituosenregal heißt es, die Leute kauften dieses Jahr noch mehr Whiskey für 150 Euro pro Flasche als sonst. Dennoch kämen nicht die gleichen Kunden wie früher: "Damals war das KaDeWe die potenzierte Dekadenz. Heute ist es voll mit Touristen. Das sind Leute wie du und ich. Die kommen hauptsächlich zum Gucken", sagt Verkäufer Rudi Teichert. Dass sich die Zeiten geändert haben, beobachtet auch eine Pralinenverkäuferin - ihren Namen möchte sie aber nicht in der Zeitung sehen. "Fünf Euro fünfzig für hundert Gramm Buttertrüffel, da denken die Leute jetzt schon zweimal nach", sagt sie. Ihr Mann hat nur einen 1-Euro-Job.

In den "Galeries Lafayette" auf der Friedrichstraße kann von einem brummenden Weihnachtsgeschäft keine Rede sein. Die Dessousabteilung ist gähnend leer, auf den Stockwerken sind kaum Kunden zu sehen, aber umso mehr Schilder, die den Schlussverkauf anpreisen. Eine Mitarbeiterin des Kaufhauses in der Kosmetikabteilung erzählt, ihr Stand habe vergangenen Dezember noch 50.000 Euro Umsatz gemacht. In diesem Monat waren es hingegen 15.000. "Die Reichen kaufen genauso wie bisher. Aber die normalen Leute probieren nur, die kaufen nichts. Wenn ich da nur freundlich frage, ob ich behilflich sein kann, wehren viele schon ab. Andere kommen und fragen direkt, ob wir etwas für weniger als zehn Euro haben." Und warum tragen dann, trotz der Wirtschaftskrise, sowohl Händler als auch Verbraucher generell ihre gute Stimmung zur Schau? "Man redet nur ungern darüber, dass man kein Geld hat. Deswegen tun die meisten Leute so, als sei alles ganz normal."

Am Alexanderplatz ist spätnachmittags richtig was los. Zwischen dem Einkaufszentrum Alexa, Kaufhof und Weihnachtsmarkt laufen viele junge Menschen über das graue Straßenpflaster. Zwei Schülerinnen aus Ahrensfelde bei Marzahn, die sich in einem Einkaufszentrum aufwärmen, sagen, ihre Familien hätten finanzielle Probleme. Das sei aber auch schon vor dem Abschmieren der Konjunktur so gewesen. "Die Finanzkrise wird total aufgebauscht", finden auch zwei Männer, die im Mediamarkt möglichst viele Flachbildschirme verkaufen sollen. "Wir haben heute einen Fernseher für 6.000 Euro ausgeliefert. So schlecht kann es den Leuten nicht gehen", sagt der eine, der andere nickt zustimmend.

Weihnachtsmarkt auf dem Alexanderplatz: Es ist längst dunkel geworden. Aus den Fahrgestellen hört man schon von weitem vergnügte Schreie, alles ist bunt erleuchtet. "Finanzkrise? Ist das nicht ein Problem der Banken?", fragt ein junger Mann. Auch sein Freund ist mit seiner Lage zufrieden: "Das Benzin ist wieder billiger, mir gehts gut."

Für Melanie Tomzek liegt der Sinn des Weihnachtfestes allerdings nicht darin, viel Geld auszugeben. Die 33-Jährige arbeitet in einem Geschenkladen in Fürstenwalde. Ihr Einkommen ist so gering, dass der Staat das Gehalt mit Arbeitslosengeld II aufstockt. "Ich arbeite in einem schönen Team, das ist mir wichtig. Außerdem kommt es gar nicht so darauf an, wie viel Geld man hat, sondern darauf, was man mit seinem Geld macht." Sind wegen der schlechten Wirtschaftslage in den vergangenen Wochen Freunde arbeitslos geworden? "Ja, einige Zeitarbeiter." Und wie feiern die dann Weihnachten? Ein Schulterzucken ersetzt die Antwort.

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