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Weihnachtlisches Wehklagen

■ Serbien im Selbstmitleid über den bösen Rest der Welt/ Schweigemarsch in Ungarn

Skopje (taz) – Gestern feierten die Serben ihre orthodoxe Weihnacht. Obwohl zu diesem Feiertag überall in Rest-Jugoslawien das öffentliche Leben ruhte und die zentralen Plätze festlich geschmückt wurden, war nicht jedem zum Feiern zumute. In albanischen Städten blieben Geschäfte und der Bazar geöffnet, wurde zu Protestkundgebungen gegen die serbische Streitmacht aufgerufen. In Prizren und Pec soll es bei der gewaltsamen Schließung des Bazars zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. In der Regionshauptstadt des Sandzak, Novi Pazar, führten serbische Soldaten großangelegte Razzien durch, waren doch in den vergangenen Tagen anonyme Flugblätter aufgetaucht, in denen zu Sabotageaktionen aufgerufen wurde. Im ungarischen Subotica fanden sich mehrere hundert Menschen zu einem Schweigemarsch.

Unbeeindruckt davon nutzten serbische Politiker das Fest zur politischen Manifestion. Vor allem in Kleinstädten durften örtliche Politiker in den Gotteshäusern kurze politische Ansprachen halten, während die Popen einen Hirtenbrief verlasen, in dem das serbische Volk „zur Geschlossenheit“ aufgerufen wurde.

Selbst der jugoslawische Staatspräsident Dobrice Čosić, dem eine gewisse Distanz zum serbischen Präsidenten und Kriegstreiber Slobodan Milošević nachgesagt wird, beschwor in seiner langatmigen Weihnachtsansprache die „Gefahren für das moderne Serbentum“. Die serbische Führung in Belgrad, so Čosić, bedauere alles, was in Bosnien geschehe, nur könne sie eben nicht eingreifen. Auch er sei für den Frieden und deshalb sei es so ungerecht, daß die internationale Staatengemeinschaft alle Serben für alle Greuel in Bosnien verantwortlich zu machen versuche. Laut Čosić stehen die „Landsleute in Bosnien“ vor einem schrecklichen Dilemma: entweder den „äußerst nachteiligen Friedensplan“ der UNO zu akzeptieren oder mit einer Militärintervention rechnen zu können. Karl Gersuny

Milošević nach Genf?

Genf (taz) – Wenn die Genfer Verhandlungen über Bosnien-Herzegowina am Sonntag wiederaufgenommen werden, nimmt möglicherweise zum erstenmal seit Beginn der Jugoslawienkonferenz vor vier Monaten der serbische Präsident Slobodan Milošević daran teil.

Ein entsprechendes Ersuchen übermittelten die Konferenzzvorsitzenden Cyrus Vance und David Owen an den Präsidenten Restjugoslawiens, Dobrica Čosić, der Belgrad bislang bei der Konferenz vertreten hatte.

Vance und Owen hatten Milošević und Čosić am Mittwoch gebeten, den bosnischen Serbenführer Karadžić zur Unterschrift unter das von ihnen vorgelegte Abkommen über Bosnien-Herzegowina zu drängen. Nach Auskunft ihres Sprechers erhielten die beiden „keine konkreten Zusagen“. Milošević habe jedoch auch „an keinem Punkt des Gespräches klar nein gesagt“. Der Sprecher Eckard räumte gegenüber der taz ein, daß Vance und Owen in Belgrad auch die Möglichkeit von Veränderungen des vorliegenden Verfassungstextes und der Prozeduren zur Reetablierung des bosnischen Staates diskutiert hätten, die Karadžić die Annahme der Verfassung ohne Gesichtsverlust ermöglichen könne. Bereits während der am Montag abend unterbrochenen Verhandlungsrunde war auf den Korridoren folgendes Modell erwogen worden: zunächst wird statt eines in zehn Provinzen aufgeteilten Einheitsstaates eine Konföderation drei weitgehend eigenständiger Staaten vereinbart, deren Regierungen als erste Amtshandlung „sozusagen freiwillig“ all die Kompetenzen an die Zentralregierung in Sarajevo überträgt, die der bisherige Verfassungentwurf dieser zugeordnet hat. azu

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