Weihnachten im Sommer: Sommerliche Weihnachtsgrüße
Weihnachtliches Grillen und Geschenke unter dem Mehrwegklappbaum. Können wir Heiligabend auch im Sommer feiern?
O bwohl dieses Mal doch alles anders sein sollte, passiert mir kurz vor Weihnachten das, was jedes Jahr passiert: Ich verfalle in Panik, um schnell noch alle To-dos fertigzubekommen, die sich aus weiß der Teufel welchen Gründen so furchtbar angehäuft haben. Natürlich werden neben den Arbeitsdeadlines auch alle weihnachtlichen Vorbereitungen und Geschenke fällig, und dazu schneit es bei den Kindern Last-Minute-Referate.
Vergeblich hoffe ich darauf, dass sich zwischen dem Zoom-Meeting und dem Anstehen in der Post irgendwie das zauberhafte Weihnachtsgefühl einstellt, das mich laut Filmen, Songs und Werbung eigentlich seit dem 1. Dezember beglücken sollte.
An einem Nachmittag, den ich mir irgendwie aus dem Kalender geschnitten habe, besucht Felix mich zum Plätzchenbacken. Ich frage ihn, ob Weihnachten auch noch im Jahr 2123 gefeiert wird. Das ist das Jahr, aus dem der Zeitreisende mich ab und zu besuchen kommt.
„Natürlich. Aber wir feiern Weihnachten am 24. Juni.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Vor Überraschung fällt mir fast die Teigrolle aus der Hand. „Wieso das denn? Ich dachte, Weihnachten sei absichtlich auf den Winteranfang gelegt worden, um die heidnischen Wintersonnwendfeiern kulturell zu vereinnahmen. Im Sommer ist ein Fest, das Licht und Wärme spenden soll, doch ziemlich sinnlos.“
„Auf der Nordhalbkugel vielleicht, aber nicht im Süden. Da war Weihnachten schon immer ein Sommerfest. Weil der Norden sich immer weiter von der Kirche abwendet, aber die christlichen Gemeinden in Afrika und Südamerika boomen, hat Papst Jens I. im Jahr 2038 beschlossen, Weihnachten für die nächsten 2.000 Jahre im Juni zu feiern.“
„Und was macht ihr dann da so?“, frage ich und stecke mir einen labbrigen Teig-Stern in den Mund.
„Der Anfang ist noch wie bei euch: Die Familie kommt zusammen, manche gehen sogar immer noch in die Kirche, dann wird gegessen, gesungen, und Geschenke werden verteilt. Und wenn die Kinder im Bett sind, betrinken sich die Erwachsenen und streiten miteinander.
Aber es werden für Weihnachten keine echten Bäume mehr abgeholzt. Jeder vernünftige Mensch hat einen Mehrweg-Klappbaum, der mit LEDs, Süßigkeiten und selbstgebasteltem Schmuck behängt wird.
Am 1. Weihnachtsfeiertag gehen alle zusammen in den Wald, um Weihnachtsbäume zu pflanzen. Im Anschluss besucht man seine Nachbarn und verteilt all die Geschenke, mit denen man selber nichts anfangen konnte.
Am 2. Weihnachtsfeiertag werden Wunschbriefe an Verwandte und Freunde geschrieben, in denen steht, über welche gemeinsamen Erlebnisse man sich im vergangenen Jahr gefreut hat und was man sich für das kommende Jahr von der Person wünscht: mehr Aufmerksamkeit, mehr Liebe oder vielleicht auch weniger nervige Briefe.
Wichtig ist, die Briefe per Hand zu verfassen und über die analoge Post zu verschicken, sonst zählt es nicht. Und wenn jeder mindestens einen Brief verschickt hat, wird groß gegrillt.“
„Und dafür habt ihr dann im Dezember endlich keinen Stress mehr und könnt das Jahr in Ruhe ausklingen lassen.“
„Richtig: Und statt zur Christmette gehen die Leute im Dezember zum Karaokesingen in die Kirche. Die Akustik ist einfach unschlagbar.“
„Klingt toll!“
„Ist es auch. Und es spricht ja nichts dagegen, neue Traditionen anzufangen, bevor der Papst die Welt auf den Kopf stellt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin