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■ Wehrschloß-Prozeß: Vor dem GerichtssaalSie wissen nicht, was sie taten

Immer wieder schüttelt der Mann, der vor dem Sitzungssaal 251 des Amtsgerichts darauf wartet, daß seine Kinder als Zeugen vernommen werden, den Kopf. „Ich kann's einfach nicht fassen“, sagt er und reibt sich mit Daumen und Zeigefinger das Kinn, bis die Haut feuerrot wird. Er läßt den Blick durch den Gerichtsflur schweifen. Einen Moment lang bleiben seine Augen an der Leuchtanzeige rechts neben der Tür des Zuhörerraums hängen. „Öffentlichkeit ausgeschlossen, nicht eintreten“, steht dort in gelben Buchstaben.

Hinter verschlossenen Türen versucht das Jugendgericht am Mittwoch vormittag herauszufinden, was am 21. März in dem Jugendfreizeitheim „Wehrschloß“ passiert ist. An diesem Tag sollen drei Mädchen im Alter von 14 bis 17 Jahren eine 15jährige Schülerin stundenlang gequält haben. Sie sollen ihr Opfer mit einer Hundeleine ins Gesicht geschlagen, es getreten und seinen Kopf gegen eine Holzplatte gedrückt haben, während andere Jugendliche die ErzieherInnen des Wehrschlosses ablenkt haben sollen. Etwa eine Stunde später verließen sie mit ihrem Opfer laut Ermittlungsakte das Freizeitheim und quälten das Mädchen in der Grünanlage hinter dem Haus weiter. Den Schülerinnen wird vorgeworfen, sie hätten ihr Opfer brutal zusammengeschlagen, getreten, ihm die Haare angesengt und es mit brennenden Zigaretten malträtiert. Laut Anklageschrift zwangen sie das Mädchen schließlich, sich auszuziehen und sich einen Ast in die Scheide zu stecken. Etwa 15 Jugendliche sollen dabei zumindest teilweise zugesehen haben. Zwei Jungen stehen wegen unterlassener Hilfeleistungen vor Gericht. Zu einem Urteil kommen die RichterInnen nicht – die Verhandlung wird vertagt.

„Ich kann einfach nicht glauben, daß meine Kinder zugeguckt und nicht geholfen haben“, sagt der Vater und schüttelt wieder den Kopf. „Ein Telefonanruf hätte doch genügt. Aber die sind weggelaufen und dann wieder hingegangen, um weiter zuzugucken“, erzählt er Vater und schluckt. „Dabei hätte ich meine Hand dafür ins Feuer gelegt, daß meine Kinder Hilfe holen würden. Aber für die sind solche Situationen wohl schon zur Normalität geworden. Ich glaube die haben gar nicht begriffen, was da passiert ist“, sagt er und deutet mit dem Kopf in die Richtung einer Gruppe von Jugendlichen, die an einem Tisch im Gerichtsflur sitzt. Ein Mädchen zieht seine Vorladung aus der Hosentasche. „Wegen sexueller Nötigung“, liest es laut vor. „Wie sich das anhört. So schlimm war das doch gar nicht“, sagt sie und verzieht die Mundwinkel. „Sexuelle Nötigung ist schon, wenn man jemanden auf den Hintern haut“, erklärt eine Erzieherin, die sich zu den Jugendlichen gesetzt hat.

„In Sachen X gegen Y, Herr Meier, bitte eintreten“, schallt es durch den Lautsprecher. „Oh Mann, ej“, stöhnt ein etwa 16jähriger. „Diese Warterei geht mir auf' n Zeiger. Wieso rufen die uns nicht auf“, flucht er und zieht an seiner Zigarette. „Ich hab' auch kein Bock mehr“, beschwert sich ein Mädchen, nimmt die Kippe des Jungen und zieht den Rauch tief ein. Sie formt ihre Lippen zu einem Kreis und stößt den Qualm in Ringen wieder aus. „Was haben Deine Eltern gesagt. Nie wieder Wehrschloß?“ fragt die Erzieherin den Jungen. „Mhmmm“, nickt er.

Als seine Eltern aus der Gerichtskantine zurückkommen, steht die Erzieherin auf und geht zu ihnen. „Ich wollte Sie einladen. Wir machen am nächsten Mittwoch einen runden Tisch. Wir haben eine Dokumentation zu diesem Vorfall fertiggestellt und wollen unsere Arbeit noch mal vorstellen. Vielleicht haben Sie ja Zeit zu kommen“, sagt sie betont locker. „Ich glaub', ich muß arbeiten“, preßt der Vater hervor. „Für uns ist die Lage natürlich beschissen“, klagt die Erzieherin. „Aber ich hab' damals das Heim um 19 Uhr zugemacht. Es ist ja auch ermittelt worden. Wegen Verletzung der Aufsichtspflicht. Aber ich hab' ja um 19 Uhr abgeschlossen und konnte das gar nicht mitkriegen“, wiederholt sie. „Sonst wäre meine berufliche Laufbahn ja auch beendet.“ Die Eltern sehen zu Boden. Die Erzieherin knetet ihre Hände. „Also“, versucht sie einen neuen Anlauf. „Gewalt gibt es ja überall. Diese Sache ist nur absolut...“ „Also mir passen diese Freizeitheime nicht so recht“, gibt der Vater zu. „Von diesen Cliquen geht einfach nichts Positives aus. Ich würde mir für meine Kinder andere Aktivitäten wünschen. Ich stell' mir vor, daß von Reitvereinen oder Segelclubs eher was Positives vermittelt wird. „Wir sind natürlich auch fertig“, unterbricht ihn die Erzieherin. „Das hat ja auch unsere ganze Arbeit in Frage gestellt. Wir wollten aufgeben. Aber dann hätten wir ja auch irgendwie gekniffen. In der Zwischenzeit haben wir auch ein Elterngespräch veranstaltet. 85 Leute waren da“, erzählt sie und hebt die Stimme. „Ach wissen Sie“, winkt der Vater schließlich ab. „Ich glaube über die ganze Sache muß erst mal Gras wachsen.“ kes

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